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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 2
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Vom Tage
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0033

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T.

Iahre eines dieser Gipsmodelle Thorwaldsens in Marmor
aussühren zu lassen, sür die Bnrger dieser Stadt muß es
allerdmgs verblüssend sein, sertige Marmorfiguren dutzend-
weise zu jdreisen ausgefahren zu sehen, sür die man kauin
ein kleines elegantes lNöbel und sicherlich nicht einen silbernen
oder bronzenen Taselaussatz erwsrben kann. Ebenso verhält
es sich mit den Möbeln, die über und über init Schnitzerei
bedeckt trotz Frachten und Iöllen billiger hergestellt werden,
als ein glattes, einigermaßen gut gearbeitetes Möbel in einer
der nordischen Städte. Die Italiener treiben mit dieser In-
dustrie ein gesährliches Spiel. Die Bevölkerung besitzt in so
erstaunlichem Maße aus alter Tradition her künstlerische chähig-
keit, Echnelligkeit des Auges und Geschicklichkeit der ksand,
daß es Fabrikanten in kleinen Städten möglich wird, nach
einem Dutzend Gipsmodellen von nahezu ungeschulten Arästen
5chnitzereien und lNodellirnngen herstellen zn lassen, die eine
wahrhast verblüffende dekorative Wirkung erzielen. Aber

! diese Aräste werden rücksichtslos ausgenutzt, die Formen so
j gedankenlos blos aus die Besriedigung der gemeinsten 5chau-
' lust hin zusammengestoppelt, das Ganze so liederlich, mit
bloßer Rücksicht aus die Lrsparnis noch wieder einiger Franks
hin, zusammengesetzt, daß die durch die Billigkeit errungenen
Lrsolge unmöglich aus die Daner vorhalten können. Dieses
cherunterdrücken des künsilerischen Maßstabes und des Arbeits-
verdienstes ist um so unvernünstiger, da die Stücke auch noch
! billig und absatzsähig sein würden, wenn sie das Doppelte von
dem kosteten, was jetzt gefordert wird. wie die Sachen jetzt
gearbeitet werden, verderben sie sich und anderen völkern
den Geschmack und den Markt sür geschnitzte und verzierte
Arbeit."

-x- Berlin soll im kommenden winter eine ähnliche ,,ita-
lienische Ausstellung" mit Aunstwerken und Landes-
erzeugnissen erhalten, wie eine solche in London (übrigens mit
geringem Erfolge) veranstaltet war.

Sprecbsaal.

CAntcr sacblicbcr vcranlvvortung ber Dcrrcn Linscndcr.)

Nandglossen

zmn Rapitel „Berliner Runstausstellnn g".

Lin mir befreundeter Maler, der innner noch Zeit
findet, sich außer mit seiner von ihm sehr ernst auf-
gefaßten Aunst literarisch und wissenschaftlich zu be-
schäftigen, klagte einstmals darüber, daß unter seinen
ihm näherstehenden Rollegen sich so viele Leute be-
fänden, mit denen eine geistig vertiefte Unterhaltung
zu führen rein unmöglich sei; die meisten von ihnen
besäßen eine Bildung, die über das Durchschnittsmaß
kaum hinaus ginge. Za, es gäbe Alänner urcker ihnen,
die dieses Durchschnittsmaß nicht einmal erreichten,
und in Allem, was außerhalb ihres IDirkungskreises
liegt, so unwissend als nur möglich seien. Mas vor
Allem auffiele, sei eine kaum glaubliche Zdeenarmut.

Awin Lreund hat nicht übertrieben. kDer jemals
Gelegenheit gehabt hat, mit Atalern, nainentlich mit
jüngeren, zu verkehren, wird sein wenig schmeichel-
haftes Urteil mehr oder minder bestätigt gefunden
haben. Ls ist hier selbstverständlich nur von der
Masse die Rede; und unter „Blasse" möchte ich jene
„kompakte Nlajorität" verstanden wissen, die Zbsen
in seinem „ Dolksfreund" so vortrefflich geißelt und
welche ein vorurteilsloser j?o!itiker wenig zartfühlend
aber äußerst drastisch in summu sumruuruiu „Stimm-
vieh" genannt hat.

Diese „kompakte Wajorität" — wir wollen bei
dem zarteren Ausdruck bleiben — ist zu allen Zeiten
Todfeind des Mriginellen und Zndividuellen gewesen;
im religiösen wie im xolitischen, im literarischen wie
im wirtschaftlichen Leben. Sie ist die atmende Niesen-
Nivellirungsmaschine mit der Aufschrift: Tausend Sinne
und kein Gedanke.

Seitdem die Awssenproduktion sich auch der Nunst
bemächtigt hatte, konnte dis Gründung dieser „kom-
pakten Alajorität" in den Areisen der Rünstler nur
als die Folge eines natürlichen Dorgangs betrachtet
werden. So sieht man denn auch in der Akalerei
und Bildhauerei die große Nivellirungsmaschine tag-
täglich ihre Arbeit verrichten, um die nach Aunst lech-
zende und kauflustige Menschheit in Staunen und Be-
wunderung zu setzen. V e r wunderung wäre eigentlich
richtiger. von Zeit zu Zeit — die Ngl. Akademie

der Rünste zu Berlin pflegt es alljährlich zu thun —
wird dann ein großer A7arkt — paräon, eine Aus-
stellung! — abgehalten, um dis Trzeugnisse an den
Nlann zu bringen und dem s)ublikum Freude und Ge-
nuß zu bereiten. Aianchmal auch nichl — je nachdem!
Das Fazit ist immer dasselbe, wenigstens seit einigen
Zahren —: im Znnern sehr viel schlechte Bilder und
langweilige Gesichter und draußen bei den lockenden
Tönen eines Straußschen IValzers Aruncke prorn6na.cke
der kompakten N'lajorität der Aonzertbesucher, welche
die „Runst" als eine angenehme Beilage zur „Nlelange",
zum Dreherschen Bier und zu den Lsefterschen würsten
betrachtet. Meshalb auch vor den toten Bildern
stehen, wo auf dem „Lästergang" um den künstlichen
Teich herum sich weit interessantsre, lebensvolle ent-
falten! *

Ts war Otto von Leirner, der einmal darauf hin-
wies, wis wenig derartige Bildermärkte ihren künst-
lerischen Zweck erfüllten, und welcher den Vorschlag
machte, die Ausstellungen aller drei Zahre stattfinden
zu lassen und dann nur einer bestimmten Anzah! von
Werken die jDforten ;u öffnen. Die Antwort darauf
fand sehr schnell Adolf Nosenberg im Feuilleton der
„s)ost". Tr fragte Lserrn von Leixner, wovon dis
Nünstler während dieser drei Zahre leben sollten, da
die meisten von ihnen auf den Verkauf ihrer Bilder,
also auch auf die Ausstellungen angewiesen seien.

5ehr gut von Lserrn Nosenberg gemeint und sehr
hübsch von ihm, daß er so wacker für das Mohlsein
der „kompakten Majorität" unter den Künstlern ein-
tritt; ich aber möchte mir die Frage an ihn erlauben:
Meshalb geben sich unsere Akademien zu Züchtungs-
anstalten für das Künstlerproletariat her, das die
großen Städte überschwemmt? Weshalb greifen so
viel Anberufene zur st)alette und dem A'leisel, von dem
Wahn befallen, die Aunst gleiche jener Lrau, deren
Sprödigkeit man durch gutes Zureden zu überwinden
meint?

Akan durchschreite einmal die Näume der sech-
zigsten Akademischen Ausstellung und man wird zu

*) IVir bemerken, daß die chandfchrift dieser „Randglossen"
in nnferen bfänden war, bevor der Steinhaufensche Anfsatz
(iin vorigen chefte) erfchien. A.-L.
 
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