3. Ltück.
Lrscbetnt
im ersten und dritten Viertel
Derausgeber:
zferdinand Nv^narius.
WLsrellprets;
vterteljährlich 21/2 Mark.
2. Zabrg.
vom °Notstlkt.
verdikts.
,atürlich ist nicht etwa von selbstständigen
'LNalereien mittelst des Äotstiftes die Rede.
,Lr soll lediglich in Betracht gezogen werden
jals vollstrecker eines sehr eigentüinlichen
Lr übt ein Scharsrichteramt, er macht zwar
nicht die Leute, aber die Runstwerke um einen Aopf
kürzer. Die j?rozedur hat indeß bei diesen und bei
jenen ost die gleiche wirkung — sie sterben „in Lolge
des Röpfens".
von Kürzungen an Malereien oder werken der
plastik spricht natürlich Niemand. Der Notstift richtet
seine Thätigkeit nicht gegen zu weitschweisig bemalte
Leinwand oder gegen eine ^tatue, um letzterer etwa
die Beine zu amputiren, damit sie besser ins Zimmer
passe. Der Notstist wütet nur gegen Dichtungen und,
besonders, gegen Nlusikwerke.
Nberkwürdig. N)enn man davon spräche, ein
Bild zu kürzen oder ein ^tatue, so würde das ?. D. j)u-
blikum schlau iu sich hineinlächeln und meinen, das
sei ja ein recht witziger Linfall. Beine, Arme, Hände
„gehören doch zusammen", die kann man nicht weg-
nehmen. Gb aber im dramatischen und musikalischen
Nunstwerk nicht crrich dies und das „zusammen gehört"?
Und wer soll entscheiden, was überflüssig ist? Seit
j?aul Lindau kritisch debütirte mit dem Bekenntnis:
ihn interessire in Goethe's Faust erst die Gretchenszene,
bis dahin langweile ihn der undramatische Nlonolog
— seit diesem Bekenntnis sollte man den Theatern
den Rotstift noch höher hängen. Beiläufig: was
könnte an der höcbst alltäglichen Gretchenasfaire inter-
essiren, wenn Faust ein gewöhnlicher Dutzendmensch
wäre? Daß er das nicht ist, hat Lxzellenz Goethe
— vermutlich —- mit dem N'lonolog beweisen wollen.
Rürzlich ging, zwöls Zahre nach Bayreuth, in
der Hauptstadt des Deutschen Neiches N. wagners
„Götterdämmerung" in Szene. Der großartige Tin-
druck wurde nirgends bestritten. Reine der vielen
kritischen ^timmen Berlins ist dem kVagnerwerk noch
seindlich. Nur eins mischt sich in sedes Nrteil: die
Rlage über die Länge dieses Theaterabends. Nicht
ein Gegner wagners, sondern j?rof. Lhrlich, macht
nun den vorschlag, doch wenigsteus den Lpilog b^agens
nach der Aussahrt Siegsrieds mit Gunther „wegzu-
streichen". Lhrlich und manche Gleichdenkende .„er-
hofien dann sür die Götterdämmerung die ähuliche
j?opularität, wie die walküre sie erworben". Daß
man andernorts die Nornenszene wegstreicht, ist be-
kannt. Desgleichen die flehentliche Grscheinung der
waltraute, die sür wotan den Ning erheischt; endlich
auch das düstere Nachtbild „Schlässt Du, Lsagen, mein
^ohn" zwischen Alberich und Lsagen.
U)ie weit die Nianier, an Runstwerken zu ändern,
um sich gegriffen hat, konnte man gerade gelegentlich
der Götterdämmerung beobachten. Die Berliner
Zeitungen enthielten uämlich übereinstimmend, mithin
osfiziell, acht Tage vor der Aufiührung die Verkündung:
„Die Götterdämmerung wird hier genau nach wagners
Vorschrist und ohne jeden Strich gegeben, und nimmt
daher eine längere Zeitdauer als anderswo in An-
spruch, wo man das N)erk kürzt."
Nun ist wagner ein berühmter Autor, ist sür die
Theater die erste Zugkrast geworden, und doch ist
man so naiv, öffentlich zu prahlen, „man gebe
das Runstwerk ganz genau nach wagners vorschrift".
Also selbstverständlich ist das schon nicht mehr,
man erklärt es öffentlich als eine Ausnahme.
Ts kann durchaus nicht behauptet werden, der
kürzende Notstist dürfe unter gar keinen Nmständen,
in keinem N)erk, an keiner Stelle zur Anweudung
kommen. Niit diesem Nadikalismus würde nichts be-
wiesen und erreicht. Ls kann — je nachdem —
in Runstwerken Längen geben, d. h. Zeitlängen, durch
iiöer alle Weöiele^eAMcbönen.
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