4.Stück.
Lrscbeint
im ersten und drilten Viertel
Derausgeber:
zferdinrmd Nvenarius.
Kesrellpreis:
Vierteljährlich 21/2 lNark.
2. Zabrg.
L-andsckuttsiilulerei.
^ALZLj^lenn man irgend eine Landschaft in Le-
^^«D^Dzug auf jene Züge nntersucht, aus denen
die von ihr angeregten Lmpfindungen
entwickeln, so wird man finden, daß die
Ursache der Wirkung in Demfenigen liegt, was unser
Gemüt zu der unmittelbaren vorstellung* hinzufügt.
vor uns liegt ein abgeschlossenes waldthal. Die
Abhänge sind mit Laubbäumen bewachsen, höher hin
breiten sich einsame Halden aus, über welche die
nackten Bergspitzen in zackigen Linien zu dem blauen
Lsimmel hinaufragen. In der Thalsohle, tief unten,
schäumt ein Bergbach über Steingerölle — er allein
bewegt sich, alles andere liegt still vor dem Beschauer.
Der erste Lindruck kann fener der Linsamkeit sein,
zu welchem sich noch die ^timmung gesellt, welche
durch Formen, Farben uud Licht erzeugt wird. Man
könnte nun glauben, der allgemeine Lindruck der
Landschaft müsse bei gleicher Beleuchtung bei fedem
Beschauer derselbe sein. Aber dem ist nicht so: unsere
Linbildungskraft, bestimmt durch den Inhalt unseres
Gemüts, modelt die „unmittelbare Vorstellung" um,
welche uns durch den Ännenschein gegeben wird.
Der Betrachter sei erfüllt von Sehnsucht uach Ruhe.
wie tröstend legt sich ihm dann die heilige Stille an
das bserz; was ihn quälte, scheint überwunden, leise
gleitet der tastende Bbck von dem frischen Grün der
lValdstreifen zu den lViesen, klettert die Felszacken
empor nnd ruht dann in dem friedlichen Blau des
bsimmels. Anders wird sich der Lindruck einem
Schwerkranken gestalten, welcher mit allen Fibern am
Leben hängt und doch fühlt oder zu fühlen glaubt,
daß bald Alles ein Gnde haben werde. Zhm ist's,
als sei er nun ganz vom teben abgeschlossen. Das
Blau des Lsimmels, in welchem sich der Blick des
ersten Beschauers in freudiger Selbstvergessenheit ver-
lor, treibt die Seele des Rranken noch mehr in sich
zurück. Die Stille lastet auf ihm, und das Rauschen
des niminermüden Baches erweckt die vorstellung,
daß bald Alles verstmnmen werde ganz und gar.
Mas den Linen erfreut, macht den Andern todes-
traurig.
Das Naturbild wechselt seine „^timmungen"; es
hat scheinbar ein für sich bestehendes Leben, kann
lieblich, düster oder grauenerregend sein, aber dennoch
ist's nicht nötig, daß diese Stimmungen in uns die
gleichen erwecken. Messen Lserz von Aummer voll
ist, dem erscheint das lieblichste Landschaftsbild traurig.
Mer in der herrlichsten Gegend ein schweres Geschick
erduldet, wird immer in sie einen Schatten hineinsehen;
wer in einer düsteren Landschaft tiefe Freude erfahren
hat, aus dessen Augen fällt ein heller Strahl in das
dunkelste Bild.
^olche Gmpfindungen hat jedoch nicht nur der
Llaie, sondern auch der Rünstler. Dieser kann aber
im Stande sein, sich von seinen persönlichen Lmpfin-
dungen frei zu machen und die Landschaft so darzu-
stellen, wie sie sich ihm in einem bestimmten Augen-
blicke zeigt: d. h. er schafft ein Bildnis der Ge-
gend mit allen Zufälligkeiten, welche der Augenblick
bietet. Aber trotz Allem wird auch dann die Lin-
bildungskraft mit thätig sein müssen. Der Abschreiber
der Natur — ich benutze den Ausdruck, bemerke aber,
daß es einen Naturalismus in der Aunst streng ge-
nommen gar nicht geben kann -- der Abschreiber
empfindet nicht, daß jede Landschaft ihr Mesen habe.
Auch ein fröhliches Antlitz kann einmal trübe, auch
ein trübes einmal heiter sein, aber diese Augenblicks-
stimmung ist eben noch nicht diejenige, welche uns die
tiefste Ligenart enthüllt. So ist's auch bei der Land-
schaft: es giebt Beleuchtungen von fo zufälliger Arh
* Unmittelbare Vorstellung ist die mit den Sinnen em-
pfangene.
40 —
Lrscbeint
im ersten und drilten Viertel
Derausgeber:
zferdinrmd Nvenarius.
Kesrellpreis:
Vierteljährlich 21/2 lNark.
2. Zabrg.
L-andsckuttsiilulerei.
^ALZLj^lenn man irgend eine Landschaft in Le-
^^«D^Dzug auf jene Züge nntersucht, aus denen
die von ihr angeregten Lmpfindungen
entwickeln, so wird man finden, daß die
Ursache der Wirkung in Demfenigen liegt, was unser
Gemüt zu der unmittelbaren vorstellung* hinzufügt.
vor uns liegt ein abgeschlossenes waldthal. Die
Abhänge sind mit Laubbäumen bewachsen, höher hin
breiten sich einsame Halden aus, über welche die
nackten Bergspitzen in zackigen Linien zu dem blauen
Lsimmel hinaufragen. In der Thalsohle, tief unten,
schäumt ein Bergbach über Steingerölle — er allein
bewegt sich, alles andere liegt still vor dem Beschauer.
Der erste Lindruck kann fener der Linsamkeit sein,
zu welchem sich noch die ^timmung gesellt, welche
durch Formen, Farben uud Licht erzeugt wird. Man
könnte nun glauben, der allgemeine Lindruck der
Landschaft müsse bei gleicher Beleuchtung bei fedem
Beschauer derselbe sein. Aber dem ist nicht so: unsere
Linbildungskraft, bestimmt durch den Inhalt unseres
Gemüts, modelt die „unmittelbare Vorstellung" um,
welche uns durch den Ännenschein gegeben wird.
Der Betrachter sei erfüllt von Sehnsucht uach Ruhe.
wie tröstend legt sich ihm dann die heilige Stille an
das bserz; was ihn quälte, scheint überwunden, leise
gleitet der tastende Bbck von dem frischen Grün der
lValdstreifen zu den lViesen, klettert die Felszacken
empor nnd ruht dann in dem friedlichen Blau des
bsimmels. Anders wird sich der Lindruck einem
Schwerkranken gestalten, welcher mit allen Fibern am
Leben hängt und doch fühlt oder zu fühlen glaubt,
daß bald Alles ein Gnde haben werde. Zhm ist's,
als sei er nun ganz vom teben abgeschlossen. Das
Blau des Lsimmels, in welchem sich der Blick des
ersten Beschauers in freudiger Selbstvergessenheit ver-
lor, treibt die Seele des Rranken noch mehr in sich
zurück. Die Stille lastet auf ihm, und das Rauschen
des niminermüden Baches erweckt die vorstellung,
daß bald Alles verstmnmen werde ganz und gar.
Mas den Linen erfreut, macht den Andern todes-
traurig.
Das Naturbild wechselt seine „^timmungen"; es
hat scheinbar ein für sich bestehendes Leben, kann
lieblich, düster oder grauenerregend sein, aber dennoch
ist's nicht nötig, daß diese Stimmungen in uns die
gleichen erwecken. Messen Lserz von Aummer voll
ist, dem erscheint das lieblichste Landschaftsbild traurig.
Mer in der herrlichsten Gegend ein schweres Geschick
erduldet, wird immer in sie einen Schatten hineinsehen;
wer in einer düsteren Landschaft tiefe Freude erfahren
hat, aus dessen Augen fällt ein heller Strahl in das
dunkelste Bild.
^olche Gmpfindungen hat jedoch nicht nur der
Llaie, sondern auch der Rünstler. Dieser kann aber
im Stande sein, sich von seinen persönlichen Lmpfin-
dungen frei zu machen und die Landschaft so darzu-
stellen, wie sie sich ihm in einem bestimmten Augen-
blicke zeigt: d. h. er schafft ein Bildnis der Ge-
gend mit allen Zufälligkeiten, welche der Augenblick
bietet. Aber trotz Allem wird auch dann die Lin-
bildungskraft mit thätig sein müssen. Der Abschreiber
der Natur — ich benutze den Ausdruck, bemerke aber,
daß es einen Naturalismus in der Aunst streng ge-
nommen gar nicht geben kann -- der Abschreiber
empfindet nicht, daß jede Landschaft ihr Mesen habe.
Auch ein fröhliches Antlitz kann einmal trübe, auch
ein trübes einmal heiter sein, aber diese Augenblicks-
stimmung ist eben noch nicht diejenige, welche uns die
tiefste Ligenart enthüllt. So ist's auch bei der Land-
schaft: es giebt Beleuchtungen von fo zufälliger Arh
* Unmittelbare Vorstellung ist die mit den Sinnen em-
pfangene.
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