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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 4
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Leixner, Otto von: Landschaftsmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0057

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Sehr leicht wird dann dabei die Natur ver-
gewaltigt, wie uns die Geschichte der Malerei vielfach
beweist. Lin Rünstler hat sich vornehmlich mit der
wiedergabe südlicher Natur beschäftigt. Ihr gegen-
über bildete er in sich aus eine gewisse Art zu sehen.
Diese Ligenart wurde sein Stil. Nun aber trat er
der Natur des Nordens mit diesem ^til gegenüber
und hat sie in einen für sie durchaus nicht passenden
Model hineingepreßt. Andere haben bestimmte Arten,
Farben und Licht zu sehen, auf Gegenden übertragen,
wohin diefelben nicht passen und etwa nordische Natur
mit italienischen Farben gemalt. Iedes Stilisiren
muß — das gilt für alle Gattungen der Malerei
und für die Runst ^^haupt — von der gegebenen
Eigenart des Naturvorbildes ausgehen. F>ie darf
nicht kennzeichnende Gestaltungen und Färbungen
willkürlich verändern, denn auch sie ist verpflichtet
auf das Gesetz, innerlich wahr zu sein, trotz aller
Freiheit, die dem btünstler gegeben ist.

So wie die Linie, kann auch die Farbe zu falschem
Stilisiren führen.

Wenn wir vom Standpunkte des Malers die
Rennzeichen bestimmter Stimmungen in der Natur
untersuchen, am Morgen oder Abend, vor, in oder
nach einem Gewitter, so werden wir finden, daß die-
selben hauptsächlich in dein Wechsel von Farbentönen
und Licht bestehen. Diese Farbentöne hängen von
Feuchtigkeitsgehalt oder Trockenheit der Luft, von
wolkenschatten ab oder sind bedingt von Reflexlichtern,
welche von der dem Sonnenstande eutgegengesetzten
5eite des bsimmels herrühren usw. Was immer die
Gründe sein mögen, die Folgen stellen sich stets dar
als Änderungen der Farbentäne. Nun lehrt die Beob-
achtung der Natur, daß gewisse Stimmungen derselben
stehende Ligentümlichkeiten zeigen, daß z. B. das Grau
einer Gewitterwolke ein anderes ist, als senes einer
solchen, welche Hagel mit sich führt. wenn also ein
Aünstler die Naturstimmung darstellen will, so ist er
genötigt, den lVechsel der Farbentöne, den lVechsel
von warmem Licht und kaltem Schatten oder kaltem
Licht und warmein Lchatten usw. genau zu beobachten,
weil er nur dadurch in der Tinbildungskraft des Be-
schauers sene Stimmung zu erwecken vermag, welche
dieser der Natur selbst gegenüber empfindet.

Der Beschauer sieht die Natur viel reicher, als
sie in einem bestimmten Augenblick erscheint, denn in
das, was er erblickt, verwebt er schon den nächsten
Augenblick. F>o empfindet unsere Linbildungskraft
in dem l^alblicht vor Sonnenaufgang schon den ersten
Sonnenstrahl; aus der drohenden lVetterwolke fieht
sie schon den Blitz hervorzucken; ein weißer Streifen
im Hintergrunde der noch ruhigen Meeresstäche läßt
uns schon das bserannahen des Sturmes fühlen. Ts
ergiebt sich aus diesen Thatsachen ein wichtiges Gesetz:

„Die bildenden Aünste stellen zwar nur einen
Augenblick dar. Sie stellen ihn aber dar für fene
Linbildungskraft, welche in der Gegen-
wart auch vergangenheit und Zukunft
empfindet. Aber nicht nur für fie, sondern auch
durch sie. Darum bringen sie durch Andeutung des
Kommenden das Feststehende in Fluß."

Ie genauer der Maler die Zeichen des Über-
gangs kennt, desto mehr Leben vermag er in das
Landschaftsbild zu bringen. Aber auch der Beurteiler

muß die Natur kennen, und ihre Stimmungen be- i
lauschen, wenn er auf dem unbewegten Gemälde den
stießenden Geist der Natur verstehen will.

An diese Stimmung, welche durch das Mittel der
Farbe wiedergegeben wird, können sich mannigfache
Zrrtümer schließen. Lin Beispiel kann es klar machen.

Zn der Ausstellung von t869 in München war der
Begründer der dortigen neueren Landschaftsmalerei
A. Lier mit 4 Bildern aufgetreten, welche die q Tages-
zeiten: Morgen, Mittag, Abend, Nacbt in vollendeter
lVeise kennzeichneten. Zeder Ton war Lrgebnis fein-
sten Naturgefühls und alle stimmten zu voller Lin-
heitlichkeit zusammen, weil sie unter der Herrschaft
der dargestellten Ltimmung standen, welche der Aünstler
selber in sich durchempfunden hatte. Der große Lr-
folg erzeugte Nacheiferung. Die Nachahmer sahen
aber die Natur nicht mehr mit eigenen Augen an,
sondern durch die Brille des Vorbildes. Lie gelangten
ziemlich rasch zur bloßen jDalettenstimmungsmalerei.
Man suchte nämlich jene Linheit der Farben nicht
mehr durch die Beobachtung und Nachempfindung der
Natur zu erreichen, sondern wählte die Farben so,
daß sie als solche schon zusammenstimmten, oder man
ließ irgend einen Ton so hervortreten, daß er alle
anderen beherrschte. Diese Stimmung war ein künst-
liches Lrzeugnis, welches den Farbensinn, aber nie-
mals den geläuterten Runstsinn zu befriedigen ver-
mochte. Derartige Nezepte für Stimmungen haben
sich bei den Nachahmern Lorot s und bei den fran-
zösischen Orientmalern entwickelt, sie entwickeln sich
auch heute wieder bei den Vertretern jener Freilicht-
Malerei, welche bei uns in Deutschland kaum einige
Zahre alt ist.

Von der stilisirten und von der Ltimmungsland-
schaft aus, welche beide auf den wirklichen Natur-
vorbildern fußen, dieselbe jedoch mit geistigen Bestand-
teilen durcharbeiten, ist zur s)hantasielandschaft nur
ein Lchritt.

Wer die Berechtigung derselben ableugnet, mit
dem ist über aesthetische Dinge kein Streit möglich,
da ihm jede Linsicht in das Wesen der Aunst mangelt.

So wie der Dichter Menschen und Schicksale sich frei
erfinden darf, so besitzt auch der Landschaftsmaler das
Necht, aus den in seinem Geiste aufgespeicherten
Gedächtnisvorstellungen sich Landschaften zu schaffen.
Aber für Beide gelten die gleichen Gesetze: Was sie
gestalten mögen, muß innerlich wahr sein. Ls gilt
ihnen, jenen Teil des Alls, welchen sie bilden, als
Ganzes zu geben nnd dessen Teile wieder durch Ur-
sächlichkeit mit einander bis ins Aleinste zu verknüpfen.
Die eingehende Renntnis der Naturformen gewährt
dem Rünstler die Möglichkeit, frei von einem ge-
gebenen vorbilde zu schaffen, wie die Natur, aber
nicht nach der Natur. Zn dieser Art haben große
Aünstler gearbeitet und Werke von unsterblicher Be-
deutung hervorgebracht. Zch erinnere an Nembrandts
radirte Landschaften, besonders an jene mit den drei
Bäumen; an einzelne Blätter aus Nethels Zuge
Üannibals; aus neuester Zeit vor Allem an Böcklins
Schöpfungen, so an jene „Toteninsel", vor welcher
noch in fernen Tagen fühlende Fserzen mit Bewunde-
rung stehen werden.

Daß diese Art der freien Schöpfung sehr leicht
zu Verwirrungen führen kann, ist begreistich. Über-



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