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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 10
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Marsop, Paul: Unsere Musik-Dilettanten
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0151

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Ucöönerr.

10. Stück.

Lrscbcint

im ersten und dritten Viertel

Derrmsgeber:

zferdinrmd Nvenarius.

Kesrellpreis:

vierteljährlich 2 r,',> Mmk. ^

Ansere rDnsik-Dileltniltell.

!ir besinden uns im Zeitalter der musika-
slischeu kjalbbi lduug. Die Gruppe
mlterer Lachmusiker vou echtem Schrot uud
^Norn, welche iu allen Sparteu ihrer Kuust
gleich gut bewandert siud, verriugert sich von eiuem
Iahre zum auderen. Die Zahl der Noteubeflissenen,
welche darauf ausgehen, die Toukunst gewerbsmäßig
zu pflegeu uud sich daher uur mit Dem angelegeut-
lich beichästigen, was sie unmittelbar praktisch aus-
beuten zu köunen glauben, schwillt höchst bedrohlich
an. wie viele Pianisten -- uächst den Tngläudern
uud Feuerländeru die unmusikalischesteu unter allen
Lebewesen — giebt es nicht, sür die der Rontrapuukt
der Znbegriff aller dunklen Nätsel ist! N)ie viele
Theoretiker besseren Schlages lassen sich ausfiudig
machen, die nicht hochmütig aus die Oper, oder, wie
sie mit einem verächtlichen Zueken der Uuterlippe zu
sagen pflegen, „das Theater" herabsehen, weil Fuge
und Kanon im Gebiete des Musikalisch-Dramatischen
nur ein sehr bedingtes kseimatsrecht haben! wie
wenige derer, die sich mit Stolz ^öhne und Töchter
des Fortschritts nennen, wissen hinwiederum mit
Bach und Lsändel, mit den alten Ztalienern auch
uur einigermaßen Bescheid! wie wenige unter ihnen
vermögen es noch, einen einsachen ^aydn'schen oder
Mozart'schen Sonatensatz mit dem richtigen Stilgesühl
vorzutragen!

Vollends traurig sieht es gegenwärtig bei den
„Liebhabern" der Tonkunst aus, bei der ins Unab-
sehbare angewachsenen Schar Derjenigen, welche
ihr durch einen bürgerlichen Berus bereits wohlaus-
gefülltes Leben vermöge gelegentlicher Beschästigung
mit Gesang und ^aitenspiel noch etwas zu verschönern
trachten.

Der Dilettant srüherer Tage war ein anspruchs-
loses, mitunter sogar liebenswürdiges kVesen, das die

Musik um ihrer selbst willen hoch hielt, ein Zn-
strument oder seine Stimme mittelst einer, wenn auch
uicht gerade bedeutenden, so doch ganz schätzbaren
und erträglich ausgeglichenen Technik beherrschte,
dazu durch die fortgesetzte, emsig betriebene Uebung
aufmerksamen Lsöreus das Gesühl sür einen natürlichen
mit sicherem Takt Tempo und Ausdruck bemessenden
vortrag derart in sich entwickelt hatte, daß auch Fach-
leute nicht ungern mit ihm zusammenwirkten. F-elbst
im Allerheiligsten der absoluten Ukusik, in der Sphäre
des ^treichquartettes, war ehemals der Runstsreuud
kein Fremdling; für wohlgeschulte, seinempfiudende
Dilettauten schrieb ein Ukozart so manches seiner an-
mutigsten und sormschöusten werke, und Dilettanten,
denen diese Bezeichnung noch als Threntitel gelten
konnte, eignete Beethoven eine Neihe tiessinniger, ge-
daukenstrotzender ^chöpfungen zu. Zn Liebhaberkreisen
des vorigen Zahrhunderts sanden sich uicht selten
Nlänner, die, aus den k^öhen des Lebens stehend,
für ihre herzliche Anhänglichkeit an die Uüisik dadurch
Zeugnis ablegten, daß sie den Aünstlern durch edle
Freigebigkeit die rauhe Lebensbahn ebneteu. Uud
im deutschen Bürgerhause hatte, noch bis in eine
gar nicht so entlegene Vergangenheit hinein, die Ton-
kunst eine gastliche Lseim- und Megestätte. bsier
wurde Uüisik kaum jemals vor einer Schar geladener
Gäste und mit Hinzuziehung von Fachvirtuosen oder
gar vielgenannten „Stars", sondern nur von und vor
Familienmitgliedern, vielleicht noch unter dem Bei-
stande weniger vertrauter Freuude, ausgesührt; hier
war sie ein Trbauungsmittel, eine Art weltlichen
Lsausevangeliums sür die ältere, eine heilkräftige Ge-
mütsnahrung sür die jüngere Generation. U7an
hatte Nespekt vor der Nunst und vor den Aünstlern.
Man wagte sich an keiue Schöpsung heran, der man
in bsinsicht aus Technik und Ausfassung nicht hin-



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