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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 10
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0161

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schiedene Berechtigung und selbständige Geltung be-
wiesen.

was wird nun gegen das Nokoko angesührt?
Zuerst als überleitende Bemerkung eine rein persön-
liche Anschauung: „Rokokoräume, in denen ich dauernd
hausen möchte, kenne ich nicht." Beweiskräftig soll
diese Bemerkung natürlich nicht sein. Ls könnte ja
Ieder entgegnen: „j)a, aber ich keune welche". In
der That kann ich selbst das sagen. Line inir be-
kannte Dame besitzt ein Boudoir, so reizend, so sein
und geschmackooll ausgestattet, daß es ein wahres
Schmuckkästchen genannt zu werden verdient. Die
Möbel weisen keine Sxur vou Gold oder sonstiger
Überladung -auf, sind durchaus praktisch, dabei von
höchster Anmut im Biuue der Bokokoformen: das
Ganze spiegelt den Geist einer seingebildeten Dame
wieder und lst höchst anheimelnd und auch belebt.
Weiter denke ich noch manchmal an einen wandtisch,
im großväterlichen L)ause, dessen geschweiste s)latte
auf dicken, vergoldeten, kühn geschwungenen Ranken-
stützen aussaß, die aus einem wurzelkern aussproßten,
als wären sie sest mit der wand verwachsen; sie
hatten Schwung- und Tragkrast; das Ganze hatte
Stil, und ich habe auch mit Bedauern von ihm Ab-
schied genommen, als ich es znm letzten Wale sah.
Ienes Bokokozimmer und dieses einzelne Stück haben
mich entschieden angeheimelt.

Immer und immer wieder wird dem Bokoko seine
wilde Anregelmäßigkeit, der Mangel an Symmetrie, die
in A'kethode gebrachte willkür vorgeworfen. Ia
gewiß, es giebt Bokokostücke, bei denen das wort
willkür zutrifft; aber dieses zu einer wissenschaftlichen
Rennzeichnung des ganzen Btils benutzen zu wollen,
ist ein arger Mißgriff. Daß die vom kffrausgeber
angeführten verteidiger des Nokokostils ihn in dieser
weise kennzeichnen, ist eine Thatsache, die eineu ge-
wissen humoristschen Anstrich hat. Das heißt denn
doch einem Gegner die waffen selbst in die köuud
drücken. Tine ernsthaste und sachgemäße Rennzeich-
nung des Bokokostils wird ganz andere Tigenschasten
an ihm entdecken, als methodische willkür. wir inüssen
uns allerdings hier daraus beschräuken, senes Urteil
iin Allgemeinen zurückzuweisen, jedensalls aber wird
dieser Sache noch manche eingehende prinzipielle Lr-
örterung gewidinet werden, da es daraus aukonunt,
sestzustellen, was unter Stil zu verstehen sei und
weiterhin zu eutscheiden, ob die auch in den vorzüg-
lichsten Trzeugnissen des Bokokosenthaltene, somiteigent-
lich für diesen ck>til chara kteristische Unsymmetrie (nicht U)ill-
kür) nicht durch eiu auderes gleichberechtigtes j?rinzip
ersetzt werde, welches ebenso gut deu kjauptforderungen
des ck-tils entspricht. Ist also Symmetrie in denr
strengen und eigentlichen Sinne des Mortes ein un-
entbehrlicher Bestandteil des Stils? Daraus kommt
die Btreitsrage hirraus. Lichtwark sührt in seinem
Buche über das Grnameut der Aleiirrneister aus, die
Gothik, das Bokoko, die japanische Uunst hätten gerade
ihr wesen irr der Nnsymmetrie; die Bhythmik ersetze
hier die Bymmetrie. wir sind der Ansicht, daß jene
ein vollgiltiger Trsatz sür diese ist.

Garrz ohne Symmetrie ist auch das Nokoko übrigens
rricht, so haben seine Bertreter dle j?endants^mmetrie
ersunden: beispielsweise ist der linke Flügel einer
> Thür an sich unsymmetrisch, wiederholt sich aber im

Gegensrnne am rechten Flügel, so daß beide zusammen
ein symmetrisches Gebilde ergeben. Die Grenzen der
Symmetrie sind hier uicht durchbrochen, aber erweitert.
weiter tritt allerdings an Stelle der Symmetrie das
harmonische Gleichgewicht der gegenüberliegenden
Teile, welches bei organischer Bichtung der sunktionären
Glieder nach dem obigen seine volle Berechtiguna
hat. Auch die Griechen bildeten nicht ein Dutzend
ganz gleichgestaltete Raryatiden an demselben Tempel,
und der romanische Btil entsaltet einen eigentümlichen
Reiz in der mannigsaltigsten Belebung seiner Rapitelle.

Sehen wir von dem im Bhythmus begrüudeten
wesen des Rokokos ab und stellen uns ganz aus den
Standpunkt unseres Gegners, so ist der Bokokostil
auch im Stande, dessen Forderungen völlig zu genügen.
Tr arbeitet mit Tlementen, welche dem ck>til im ck>inne
des üöl°rn bserausgebers dieser Zeitschrist entsprechend
verwertbar sind.

Betrachten wir doch z. B. die Nhr nebst bsermen-
leuchtern, die aus der wlüuchner Iubiläumsausstellung
von der Rgl. s)orzellanmanufaktur zu Berlin ausge-
stellt uud von j). Schley entworsen und modellirt
war. s)ros. Al. ck>chinidt beschreibt sie im „Sprechsaal"
(t888, Nr. qz) so: „Aus vier prächtig entwickelten,
krastvoll den Boden greifenden (!) und schwunghaft
emporstrebenden (!) Dolutensüßen liegt, halbbogensörmig
eingebettet, das Sockelglied. Ts springt seitlich aus
das stützeude Blattwerk der vordereu Doluteu vor und
bildet s)ostamentchen sür die zwei Figuren, einen
Rnaben links, ein Wädchen rechts, welche die reiche
verdachung über der Uhrtrommel stützen (!). Letztere,
mit fein gekreuzter Umrahmung des blau emaillirteu
Zifferblattes, ruht auf einem architektonischen Aufbau,
welcher voru eine, derSockelsimseinbiegungentsprechende
Nische bildet, in welcher sich der aus dem Wunde einer
bärtigen U^aske hervorkommende pendel, ein Llammen-
bündel aus vergoldeter Brouze, hin und her bewegt.
Das Simswerk der verdachung löst sich von den Seiten
zur Witte und nach oben ganz in frei spielende
ornamentale Tndigungen auf, welche sich um eine
Durchbrechung des abgerundeten Giebelfeldes winden
und kröpfen. Der Durchblick durch diese ornamental
geränderte Gffnung läßt eiu reliefirtes Sonnengesicht
als Schmuck des postamentförmigen Dachabschlusses
erkeunen. Auf diesem ist als letzte Rrönung eine reiz-
volle blumenbekränzte wtädchenbüste aufgesetzt, deren
schalkhaft lachendes Gesicht in zierlicher Wendung
sanft niederwärts gekehrt ist. Der Rnabe und das
wtädchen, seitlich der j?endelnische vor pilasterartigen
Gliedern des Aufbaus stehend, greifen zu dem gekröpft
vorspringenden Dachgesims empor, auf welchem
Flammen speihende Drachen die Akroterien bilden und
mit threm struppigen Flügel den Aufschwung der Ber-
dachung grotesk umrahmen. Der um die Lenden mit
einem s)anterfell geschürzte Rnabe zeigt Seite und
Nücken, die mit weichem Faltenwerk umgürtete, au-
mutige Wädcheugestalt wird von vorne gesehen.
Unten in dem nach rückwärts gebuchteten Sockel wölbt
sich muschelartig hohl wieder nach vorn und unten
ein niedlicher Naum, in welchem zwei Rinderfigürchen
hübsch gruppirt eingeorduet siud. So stellt sich die
Uhr dar in einem fiotten, mit gleichwohl künfilerisch
beherrschten Formen spielenden Nokoko, welches am
tektonischen Aufbau festhält. Die Teilung in

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