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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 11
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Rundschau
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_^_—_ S)

Allaemeineres. UNdS I) ^ U.

» Mit Bemerkungen über AUNSterKeNNtNlS
schloß w. von Seidlitz eine Reihe von vorträgen,
die er in Dresden znm Besten des dort zu errichten-
den Ludwig-Nichter-Denkmals hielt. Die wissenschast-
liche Ästhetik, so etwa sührte er aus, reicht zu einer
lebendigen (Lrsassung und gerechten Mürdigung der
Runst nicht hin, weil sie, als eine philosophische Dis-
ziplin, nur die eine Seite der künstlerischeu Thätig-
keit, nämlich — wie der Name es schon ausdrückt

— nur die passiv ausnehmende, iiicht aber die
untrennbar mit dieser verbunden aktive, schöpferische,
zu erfassen vermag. Für Lrstere lassen sich bestimmte
Negeln aufstellen, für Letztere nicht. Und doch bildet
gerade diese — mit dem Derstande nicht zu erfassende

— schöpferische Nraft den Nern jedes Nunstwerkes:
das, was es als ein solches überhaupt erst der Natur
gegenüberstellt.

Daher sehen wir uns bei der Beurteilung eines
Nunstwerkes einzig und allein auf unser Gefühl
angewiesen, welches freilich selten rein zum Ausdruck
kommt, da es von Behinderungen, die ihm der Ber-
stand in Form von Vorurteilen, Gewöhnungen, Äeb-
habereien schafft, rings umgeben ist; aber doch schließ-
lich nicht nur den obersten, sondern überhaupt den
einzigen Nichterstuhl bildet und zwar einen nach
menschlicher wertschätzung unfehlbaren. Denn an
Sicherheit geht nichts über das Gewissen.

Nun ist man freilich nicht gerade gewöhnt, die
Runst als eine Sache desGewissens, derÜber-
zeugung zu erfassen. Begnügt man sich damit, sich
durch sie unterhalten oder erheben zu lassen, dann
freilich bleibt nur die Frage übrig, ob solcher Zweck
erreicht worden ist oder nicht; nimmt man jedoch für
fich das Necht in Anspruch oder hat man die Micht,
Urteile über Nunstwerke zu fällen — und wer hält
sich nicht für hierzu berechtigt, da der Nünstler, welcher
seine werke der Gffentlichkeit preisgiebt, nicht in der
Lage ist, solches irgend Iemandem zu verwehren —
dann muß man sich über den Standpunkt des
bloßen Gefallens oder Niißfallens hinaus-
heben, Gerechtigkeit üben mit Nücksicht darauf, ob
der Rünstler die Rraft gehabt hat zur Lösung seiner
Aufgabe, ob er ehrlich verfahren ist, ob er sein Bestes
gethan hat, um alle die Nttttel auszunutzen, welche
seine besondere Nunst ihm an die bsand giebt; nicht
aber mit ihm darüber zu rechten, ob Linem die Auf-
gabe, die er sich gestellt hat, zusagt oder nicht, wenn
nur solche Aufgabe lösbar ist und gelöst wird. Für
solche Lntscheidnng bietet, ebenso wie beim weltlichen
Nichter, allein das Gewissen — hier das künstlerische
Gewissen, welches jedem mit normalen Ännen
ausgestatteten Nwnschen innewohnt, aber freilich der
j)flege bedarf — die letzte bsandhabe.

Von solchem Standpunkte aus fragt man dann
gar nicht mehr darnach, welcher Zeit, welchem Lande,
welcher Nichtung ein Nünstler, ein Nunstwerk ange-
höre — das überläßt man der Nunstgeschichte —;
sondern fragt nur danach, ob man es mit einem
rechten Nünstler, mit einem wahren Runstwerk zu
thun habe. Die Begründung für ein solches
Urteil wird freilich stets nur ganz allgemein und vor-
wiegend gleichnisweise zu geben sein.

vor Allem aber ermöglicht solche Stellungnahme
uns, jedem versuch, das Bereich der Runst und somit
den wirkungskreis des N'lenschen zu erweitern,
freudige Teilnahme zu schenken. Sehen wir dann
das noch Ungestaltete vor unseren Blicken Gestalt
gewinnen, so wird in uns die Zuversicht geweckt, daß
wir einer Zukunft entgegen gehen, d. h. einem Fort-
schritt über das Bestehende hinaus. Ls gilt hier
das wort des Lionardo da vinci: bedauernswert sei
der Schüler, der es nicht über seinen Lehrer hinaus
bringe.

Tbeater.

« „Lngltscbe Wübneltzuslände" unterzieht
„Nollo" in der „Räln. volkszeitung" (lch einer
überaus scharfen Beurteilung. Goethe sagt zwar
„daß die Nation, welche einen Sheakespeare erzeugte,
berechtigt sei, sich vom Ahnenstolze hinreißen zu lassen" ;
aber wenn das leuchtendste Beispiel dichterischen
Geistes von seinen eigenen Landsleuten nur durch die
Anerkennung seiner von fremden Nationen erkannten
Größe belohnt werde, so könne es mit dem Ahnen-
stolze nicht sehr weit her sein. „Besonders da man
dieses Dichters Schöpfungen mit einer Gleichgültig-
keit behandelt, die selbst in Lsonolulu Lrstaunen ver-
ursachen würde."

„Statt der ^hakespeareschen - - und auch der
Byronschen — werke beherrscht das moderne Sen-
sations-Drama die Bühne. Die vorherrschende Auf-
führung desselben übt einen durchaus verderblichen
Linfluß auf die F-itten, mittelbar sowohl wie unmittelbar:
ersteres, indem seine Beliebtheit noch eine Anzahl
neuer Autoren schafft, deren werke den Stempel der
Nohheit, den Ausdruck fast viehischer Brutalität auf
jeder Seite, nein, in jeder Zeile tragen. Zst es nicht
furchtbare Nohheit, wenn man auf der Schaubühne
eine Schlägerei vorstellt und das Blut von den
^chädeln der Schauspieler in Strömen fließen läßt?
Zst es nicht Brutalität, wenn man verbrechen, welche
die ganze Beoölkerung wochenlang in Aufregung
setzen, in der vollsten wirklichkeit auf die Bühne
bringt? Abschreckend wirken diese Stücke nie; sie
verderben, wie man aus den j)olizeiberichten über die
von Rindern begangenen verbrechen schließen muß,
so manch junges Gemüt, das, aufgeregt von den
Schandthaten eines Dick Turpin, Zaques Schephardt,
eines Tartouche, diese von der sensationellen Bühne
verherrlichten Helden nachahmt und in ähnlicher
weise Linbrüche ausführt. wenn man auch von der
modernen Bühne durchaus nicht erwarten kann, daß
sie in allen Fällen als Lrziehungs-Anstalt wirkt, so
bleibt es dennoch ein berechtigtes verlangen, daß sie
wenigstens der Sittenverschlechteruug nicht fröhnen
follte."

Dem auch in Gngland beliebten Linwand, daß
der Theaterdirektor doch vor allen Dingen an feine
Geldtasche denken dürfe, begegnet der verfasser mit
Zweifeln daran, ob, dies selbst zugegeben, in wahr-
heit die ^chundliteratur der Bühne mehr Zuschauer
zuführe, als die gute. „^eitdem kzenri Zroing im
Lyceum-Theater Shakespearesche Stücke, des Lffektes
und Rostüms wegen zwar in sehr verstümmelter und

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