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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 12
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Vom Tage
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0189

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nach den Anforderungen, die an seine Leistungsfähigkeit ge-
stellt werden. Denn, abgesehen von jener zwar seltenen, aller
uin so liebenswerteren Menschengattung, welche mit glcicher
Dankbarkeit und Anerkennung sich jeder neu erspricßenden
pflanze ersreut, werden an den historischen Roman die ver-
schiedenartigsten Ansprüche gestellt. Der ernste sdädagog,
welcher dem an und sür fich verwerflichen Roman nur den
Einzug in die Schülerbibliothek verstattet, wenn er sich „nütz-
lichen Zwecken" dienstbar macht, fordert von ihin gedeihliche
Nnterstützung des kulturgeschichtlichen Unterrichts; der deutsche
j)atriot erwartet von ihm, soweit er die deutsche Dergangen-
heit behandelt, die Iveckung und Stärkung nationaler Gefühle;
der Romanleser „als solcher" ist befriedigt, wenn ihn das
IVerk, in der seinem künstlerischen Bedürsnis uuentbehrlich
gewordenen „Spannung" erhält, usw.

Soweit sich die Ansorderungen an den historischen Roman
in den ebengenannten Grenzen halten, entsprechen die ange-
führten werke sast ohne Ausnahme den weitestgehenden Lr-
wartungen. In einem Punkte sind sie sich alle drei ähnlich:
die bselden nnd bjeldinnen reichen über eine bescheidene lNittel-
größe uicht hinaus. Das ist bei historischen Personen, wie
Nero und Attila, sür den vereinzelten geschichtskundigen Leser
vielleicht störend; sür den Beifall der ausschlaggebenden Mehr-
heit, welche nicht gern mit übermenschlichen Riesen zu thun
hat, ist gewiß eine entsprechende „Verjüngung", ein Nahe-
bringen des gigantisch Unverständlichen an gutbürgerlich ver-
ständliche Verhältnisse zweckmäßiger. Auch sür andere Leute
am wenigsten störend wirken diese Abmilderungen vielleicht
in der „Gred" von Lbe rs (Stuttgart, Deutsche verlagsanstalt).
warum soll man nicht glauben dürfen, daß auch iin alten
Nürnberg die jungenlNädchen nichtgeistig bedeutenderwaren, als
unser heutigcr jungsräulicher llkittelschlag? lVarumsoll man an-
zweiseln, daß auch im alten Nürnberg schon geliebt, gescherzt,
geweint und geklagt wurde und daß auch bei den Liebesver-
hältnissen im alten Nürnberg mitun'er unvorhergesehene
Lchwierigkeiten eintraten? (Lbenso naturgemäß ist es ja auch,
daß die Schilderung solcher Vorgänge, die weder etwas auf-
sallend Ungewöhnliches, noch Unwahrscheinliches gegen sich
haben, eine schöne Beruhigung, man könnte ja auch sagen:
Langeweile zu erzeugen pflegt, wie sie denn in der That die
„Gred" sogar in hervorragender lVeise hervorbringt.

lVer aber hieraus und aus dem ja etwas auffälligen
Mangel an hinreißender dichterischer Arastbethätigung dem Ver-
sasser einen Vorwurs macht, der verkennt, meines Erachtens,
die Lndzwecke der Lbersschen Muse: in erzählender Form ge-
schriebene lsandbücher sür den kulturgeschichtlichen Unterricht
zu liesern. Und als solche sind sie, was die Belehrung über
Aostümkunde, Schilderungen der Sitten und Gebräuche und
ähnliche Dinge anlangt, gewiß nicht zu unterschätzen, wenn
man auch eine seherhast dichterisch anempsundene lViedergabe
des geistigen Lebens jener alten Zeiten nicht erwarten dars.
Bei vielen srüheren Lbersschen Romanen unterstützte ja sogar
den Verfasser eine gewisse novellistisch-technische Begabung,
welche ihn in den 5tand setzte, die an und sür sich trockenen
kulturgeschichtlichen Notizen durch eine geschickt angebrachte
Fabel in anmutiger lVeise zu einem wohlgesällig zusammen-
hängenden Ganzen zu verbinden. Dabei ist lobend anzuer-
kennen, daß Lbers stets den geistigen Zustand seines j)ub-
likums im Auge behält: den strebsamen, aber noch in der
Tntwickelung begriffenen, methodisch zu beeinflussenden Zög-
ling, besonders weiblichen Geschlechts. Lbers ist viel mehr
pädagog, als man glaubt. lVie reizend neckisch und sür die
tragische Fassungskrast des Backfischalters bemessen ist z. B.
solgender Zug als Aonfliktslösung in der „Gred". bserdegen,

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der blondlockige usw. lseld des Romans, kraststrotzench lebens-
lustig, liebenswürdig, aber flatterhaft, ist unter anderem nicht
wenig stolz ans seine zwar kräftigen, dabei aber zierlichen und
ungemein wohlgebildeten Lsände. Die Litelkeit und Flatter-
hastigkeit des kselden sühren den tragischen Konflikt herbei.
wie psychologisch sein sür unsere Töchter berechnet ist nun die
tragische Lösung, die Sühne: er gerät in die ksände der Sara-
zenen, mnß aus ihren Galeeren t« Monate lang als Ruder-
knecht Sklavendienste verrichten und seine ehemals so bewun-
derungswürdig zierlichen ksände erscheinen schließlich insolge
dieses nnnatürlich übertriebenen Gebrauches zn derartig roten
„scheußlichen Rlumxen geballt", daß sür dieselben auf der
Ljeimkehr zu Augsburg in der ganzen ,,großen Stadt kein
xassend j)aar zu sinden war und es eines vollen Tgges he-
durfte, um solches nach dem Maß fertig zu stellen." Müssen
nicht dem unverdorbenen, süv das Tdle und Schöne emxsäng-
lichen jungen Mädchen beim Lesen dieser kraurigen Thatsache
die Thränen warm empsundenen Mitleids entströmen? Und
wie ergreisend und sittlich anseuernd ist das Benehmen der
„Ann", der Braut des kselden, bei dem (eben wegen jener
chände) xeinlichen Auftritte des Wiedersehensl Die Braut
ist unsagbar treu, stammt von armen, aber rechtschaffenen
Lltern — der Vater war Schreiber, die Mutter aus Italien,
daher erklären sich auch die im Gegensatz zu dem Blond des
Geliebten sehr gut wirkenden schwarzen lsaare der Ann.
wie benimmt sich nun dieses Mädchenideal den ksänden gegen-
über? Sie „schaute sie ohne jede Sxur von Lntsetzen zärt-
lichen und feuchten Bickes an und ries, indes sie fte wiedcr
und wieder küßte: »G die arme liebe teure ksand, wie hat sie
so unbändig geschafft, wie so grausam gelitten ..G deutsche
Iungsrau von heute, gehe hin und werde wie diese!

Anerkennenswert ist bei dem neucsten Lbersschen Roman
allein schon die unsägliche Mühe, welche er daraus verwendet,
die an sich ganz modern emxsindende Sprache seiner kseldin
(er läßt sie selber reden) durch Aufnähung einiger altertüm-
licher Stoffproben zu verzieren. Aus diefe weise bringt er
dem Schüler gleichsam sxielcnd die Aenntnis besonders auf-
sälliger Sprachantiquitäten bei, z. B. das auf jeder Seite wieder-
kehrende „dannocht" für „dennoch", „Lniklein" sür „Lnkel",
das „baz", das „fast" in der Bedeutung von „sehr", die
„Goldguldein" und andere Merkwürdigkeiten, welche immerhin
sür den lernbegierigen Zögling von Interesse sind, gleich
seltenen Tieren in Sxiritusflaschen.

In ksin sicht aus die Sprache steht der Lckst e insche „Nero"
(Leipzig, Rcißner) in völligem Gegensatze zur Lbersschen
„Gred". Ecksteins personen reden srisch von der Leber des
tq. Iahrhunderts weg das allerzwangloseste Rulro - uous,-
Deutsch. „Zu albern!" ruft im Selbstgesxräch eine seiner Frauen-
gestalten aus. „Morgcn kann ich nicht," entschuldigt sich Nero
bei der Geliebten. „Ich bin beschwipft," lallt eine Senatoren-
gattin. „wen der einmal zwischen den philosoxhischen Alauen
hat," spricht Tigellinus von Seneca. Sie werde sich wohl
noch besinnen, einen solchen j)lebejer zum Manne zu nehmen,
hat j)oppäa zu ihrer Gesellschafterin gesagt. „Nicht die Spur!
Lieber heute als morgen!" antwortete diese. „Die schneidige
Acerronia" nennt Lckstein eine seiner bseldinnen, ,usw. Solcher
modernen Ausdrucksweise entsxricht anch die Zeichnung der
Tharaktere: sie ist so aussallend modern, daß dieser Amstand
bei einer novellistischen Begabung, wie sie Eckstein doch be-
sitzt, auf eine gewisse Absichtlichkeit schließen läßt. Der Ver-
sasser hat von vornherein Vergleichungen mit dichterischen
Großthaten wie bsamerlings „Nero" bei der Beurteilung
seines Buchs ausschließen wollen; er tritt (das soll man gleich
seiner Sprache anhören) gar nicht mit der Anmaßung vor den
 
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