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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 13
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Hanstein, Adalbert von: Szenenwechsel
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0200

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Sl


Die Bühne Shakespeares unterschied sich von den
klassischen nnr dnrch eine noch größere Linfachheit,
und gerade das gab den englischen Dichtern die be-
neidenswerte spielende Leichtigkeit in der Bebandlnng !
dramatischer Stoffe. Da malte man die Dekorationen
nicht, man schrieb ihre Namen aus einen weißen
herausgehängten Zettel; da bedeuteten die Bretter
der Bnhne wirklich die Welt, da sie in diesem Augen- j
blick Spanien, im nächsten s)ortngal darstellten; da
zerbrach sich kein Drainatiker den Aops, wie lange
Zeit ans der Bühne erforderlich sein müsse, um Nach-
richten aus einem Rönigreich in das andere zu senden;
da ließ man keinen Rönig am Meere b^os halten,
weil im nächsten Angenblick bsamlet am Strande dem
Geist seines Daters begegnen mußte; da gab Aolonius
dem Laertes seine weisen Lehren in seinem eignen
Zimmer, nicht in dem s?runksaale, in dein soeben der
Rönig seine Thronrede gesprochen; — aber der ganze
wechsel der Lzenerie bestand eben nur in der Tin-
bildung. Zm Grunde blieben die Bretter eben Bretter,
mochte nun jetzt der ausgehängte Zettel verkündigen,
daß man sich eine meeruinbrandete Rlippe, oder jetzt,
daß man sich einen s?arkettboden vorzustellen habe.
Das Symbolische war es also, was der Bühne diese
große Beweglichkeit verlieh, und zu diesem Symboli-
schen werden uns unsere Betrachtungen noch einmal
zurücksühren.

AIs der englische Geist in Deutschland die fran-
zösisch-klassischen Fesseln sprengte, als die theoretische
Arbeit von ^essings Drainaturgie, welche zum ersten
Mal die Tinheit des Orts und der Zeit gründlich
verwars, in dem zügellos gearbeiteten „Götz" des
jungen Goethe plätzlich eine derartig energische prak-
tische Bestätigung sand, daß der klar denkende Meister
vor dem wilden Genie seines Züngers sast erschrak,
— solgte die naturgemäße Reaktiou der Negellosig-
keit gegen den vorausgegangenen Schematismus der
Alassizität. Awn glaubte, in Shakespeareschem Geiste
zu dichten, wenn man mit Ort und Zeit moglichst
toll umsprang und aus eiuer 5eite Text die Dekoratiou
womöglich dreimal wechseln ließ. A'lan bedachte nicht,
daß man dadurch die Stüeke sür die Aufsührung ent-
weder unmöglich machte oder eine Umarbeitung von
Seiten des Regisseurs sür dieselbe heraussorderte.
warum? weil die deutsche Lchauspielkunst nicht nur
mit der Dichtung zugleich, sondern weil auch die
deutsche Bühne sich realistisch zu entwickelu begann
und dadurch das Svmbolische einbüßte. Man wollte
die Dekorationen, die jetzt mit einander abwechselten,
ebenso plastisch vor sich sehen, wie man srüher die
eine im regelmäßigen sranzösischen Stück gesehen
hatte. Dazu bedurste es einer Tigenschaft, die dem
Shakespeareschen Drama sehlt, der Ronzentration. j
Diese brachte zum ersten Mal in bedeutungsvoller
Weise 5>chiller in die dramatische Dichtung hinein.
Lr sowohl wie Goethe kann nur oberflächlich eine
Ähnlichkeit mit Shakespeare ausweisen. Die aneinan-
der gereihten Ätuationsbilder in der starkknochigen
dramatisirten Lebensgeschichte des Götz haben wenig
Derwandtschaft mit der von Lzene zu Szene wachsen-
den Lieidenschaftstragödie des Britten. Nur in der
auch vom Rbaler Ruiller, oon Lenz und anderen
Freunden des jungen Goethe nachgeahmten leichten
Behandlung des Grtwechsels liegt die rein äußerliche

Ähnlichkeit zwischen dem Deutschen und dem <Lng-
länder. 2lber bei Schiller sehlt selbst diese Äußerlichkeit.

Lchon in den „Räubern" zeigt er einen Blick sür
plastischen Lzenenbau, der ihm angeboren war und
sür den er kein vorbild hatte. während Lhakespeare
die einzelnen Szenen der ausbrechenden Leidenschast
im „Othello" räumlich und zeitlich von einander trennt,
faßt Schiller die ganze surchtbare Lntwicklung seines
Franz Moor in eine einzige große Lituation zusammen
und baut die eiuzelnen Akte aus großeu massiven
Lzenenkomplexen auf. Riit jeder veränderung der
Dekoration (die zwei-, drei-, sogar sünfmal in einem
2lkt vorkommt) ist auch ein Abschnitt der Haudlung
erreicht. Der Begriff der „Szene" (ursprünglich der
griechische Name sür die Dekoration des bsintergrundes)
ist bei ihm nicht wie bei dem Franzosen gleichbe-
deutend mit dem deutschen worte Auftritt, sondern
Lchiller versteht darunter ein großes, sür sich heraus-
gegliedertes Ltück der l^andlung, welches während
des Fortbestehens einer Dekoration unter einer be-
stimmten Gruppe von si)ersonen sich abspielt und an
einen gewissen Abschnitt der Lntwickelung gelangt.
Rlan denke z. B. an die erste Szene der Libertinw
in den „Räubern", welche die Tharaktere des Rarl,
des Lpiegelberg, des Lchweizer einsührt und gleich-
zeitig den Helden des Stückes aus einem reuigen Lohn
zum Räuberhauptmann werden läßt. Unwillkürlich
verbindet sich sür den Beschauer dieser ganzen Lnt-
wicklung das Zusammenwirken aller dieser si)ersonen
mit der Dekoration der wirtsstube, in der sich Alles
abspielt, zu einem großen, bewegten, künstlerisch aus-
gestatteten und sür sich abgeschlossenen Gesamtbilde.
Diese seine Begabung sür die Ronzentration hat Schiller
sein ^eben lang und während aller seiner Lntwicklnngs-
perioden weiter ausgebildet; nur daß er diese szenischen
Bilder an Zahl immer geringer, an Ausbildung immer
größer werden ließ, sodaß sie sich schließlich in dem
klassisch abgerundetsten seiner werke, in der „Rlaria
Stuart", mit den 2lkten vollkommen decken. Lo er-
hielt auch Schiller schließlich ein Ltück, in dem jeder
Akt nur eine Dekoration ausweist, wie seinerzeit ^essing,
nur daß er aus ganz anderem wege dahin gelangt
war und auch sogleich wieder davon abging. Denn
während Goethe indessen unter Zgnorirung der von
^eidenschast durchwehten griechischen Tragödien
aus der griechischen s) la sti k das mit der dramatischen
Dichtung unvereinbare jDrinzip der klassischen Ruhe
herauslas, Rbarmorschönheiten, wie die „Zphigenie
aus Tauris", aus die Bühne brachte und gleichzeitig
die deutsche Lchauspielkunst, die erst vor Rurzem uuter
Dalberg und Zffland in der von Schröder angebahnten
natürlichen Richtung sich kraftvoll zu entwickeln be-
gonnen, zu einer Art melodischer Nortragskunst um-
schulte, gelangte chchiller, sortschreitend im „wilhelm
Tell" und im Rolossalentwurs des „Demetrius", zu
eiuer szenischeu Beweglichkeit, die noch weit über seine
Zugendarbeiten hinausging. 2lber er starb, und seine
Lpigonen hielten an der „Rlaria-Ltuart-Form" sest.
Non der Zeit an bis aus die heutige fast ununter-
brochen arbeitet der dramatische Rbechanismus mit den
fünf gleichsörmigen 2lkten, in denen j?artei und Gegen-
partei sich regelmäßig ablösen, deren jeder in sich
nur eine Dekoration duldet. Logar Romantiker, wie
Rlüllner, hielten im 2lllgemeinen an diesem Schema

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