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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 16
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Rundschau
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Vom Tage
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0254

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bei allen anderen, welche heute als Idealisten gelten,
liegen mehr oder weniger die verhältnisse gleich.
Zeder einzelne muß fnr seine Zeit ein Vertreter des
Nealismus gewesen sein, eines Nealismus, welcher in-
zwischen durch den Linsluß der Zeit und den Fort-
schritt in unserer Auffassungsweise in sehr erheblichem
Grade gemildert ist.

Wer wird jene Aünstler heute wegen einer Kühn-
heit tadeln, welche die Zeitgenossen erschreckt haben
muß? Und wie viele Streitigkeiten haben diese Amler
erregt, wie viele Lanzen sind um ihretwillen für und
wider sie gebrochen worden! Uns kommt dies alles
wunderlich vor. Aber ob nicht gerade dieser Umstand
ein Zeichen dafür ist, wie unsere Nachkommen über
uns denken werden? Auch die alten Nealisten wurden
mit Unwillen aufgenommen und bekämpft als zu weit
gehend, zu kühn, zu realistisch — ob man nicht auch
die heutigen Nealisten einmal als schulgerecht aner-
kennen wird, indem sich die Schule auf einen fortge-
schritteneren Standpunkt stellt? Ob nicht einmal die
Zeit kommen wird, wo unsere heutigen Nealisten,
ohne daß sie es wissen und wollen, in der Gruppe
der Zdealisten aufgezählt werden?"

Man sieht, Wereschagins Bemerkungen werden ein
„Manifest", das sicherlich Lsunderte oder Tausende von
zeitgenössischen Rünstlern unterschreiben würden und
schon deshalb dürften auch wir es nicht unbeachtet
lassen. Der russische Nlaler bespricht nun seine eigenen
Bilder, auf ihre innere wahrscheinlichkeit hin — und
das muß man ihm zugeben: Keiner sollte über ihn
fürder sprechen, ehe er diese Ausführungen, gleichviel
wie er sich zu ihnen stellt, wenigstens zur Renntnis
genommen hat. ^ehr interessant ist, was eine
kirchliche Zeitschrift (der Londoner „Thristian") über
seine religiösen und was er selbst über seine Rriegs-
bilder sagt. von der sozia len Bedeutung der Aunst
hat er die höchsten Anschauungen. Sie „muß und wird
die Gesellschaft beschützen" — vor dem Anarchismus.
„Mir scheint, daß es somit hohe Zeit ist, der Runst
einmal Duldung und Dertrauen entgegenzubringen,
wenn sie sich mit der Gesellschaft verbrüdern und



Vo>n

* Ein neuer Novellenband von lferinann Lingg,
„Furchen" ichtuttgart, Bonz), steht ziemlich frcmd da zwischen
den naturalistifchen Biichern unferer Zeit: wer ihn näher
besieht, wird aber fein Frennd werden. Die sechs Ltücke
liegen dein Stosfe nach zeitlich weit auseinander — von der
Bölkerwanderung bis zur Gegenwart. Die längste Lrzählung
ist die von der „Lisernen Rrone", i,n großen epischcn Stile
gehalten erinnert sie, selbst unbedingt eine bedeutende Dichtung,
nicht nur durch dcn Gegenstand an Linggs inächtiges lfaupt-
werk. Liu merkwürdiges Stück, das ein Freund von Schlag-
worten „roinantisch" nennen könnte, ist „Am Lago d'Averno",
ein anderes, in dem tiefe Aenntnis des Wirklichen und Lcht-
heit der Schilderung sich aus dem Stoffe heraus eine ganz
eigenartige Stimmung erzeugen, das tief wehmütige „ver-
hüllt". Allc Bovellen, auch „Nur eininal" und „Aschylus",
schließen tragisch oder elegisch; nur „poet und Sängerin"
nicht, das aber den übrigen nicht gleichkomint und nur als
ein heiteres Schlußstück nach so ernster Uuterhaltnng sich ihnen
anreiht. Die gehaltene Ruhe dieser Lrzählungen steht in
ihrer Aühle sehr im Gegensatz zu der erregten Beweglichkeit

eins mit ihr werden und als ihr treuer Lsüter auf
dem j?osten stehen soll. N)as ich zu sagen habe, ist
vielleicht nicht ganz neu, aber jedenfalls hat die Über-
zeugung von der wahrheit unserer Ansicht das volk
noch nicht durchdrungen. Nnd ich glaube, daß mit
den reichen vielfachen Niitteln der Runst auch dies
letzte Ziel zu erreichen ist. was wir aber dem volke
zu sagen haben, ist folgendes: «Gieb es auf, dein
bserz an den falschen Bildern des Zdealismus zu er-
götzen, der deine S-inne einschläfert, des Zdealismus
der volltönenden worte und j?hrasen. Blicke um dich
mit den Augen eines empfindenden Nealisten, und du
wirst sehen, wie sehr du dich betrogen häst. Du bist
nicht der Lhrist, der du zu sein glaubst, du bist kein
vertreter der christlichen Gesellschaft und des christ-
lichen Landes. wer seinesgleichen zu hundert Tau-
senden tötet, ist kein Thrist. wer fich im privaten
und öffentlichen Leben nur von dem Grundsatze:
«Auge um Auge, Zahn um Zahn» leiten läßt, ist
kein Lhrist. wer den ganzen Tag in der Rirche zu-
bringt, aber nichts, oder nur elende Brosamen für
die Armen hergeben will, ist kein Thrist. wer be-
achtet denn heute noch die Lehre unseres Heilandes
von der christlichen Liebe und sein Gebot, den Not-
leidenden zu helfen!»". . .

„wenn dies so ist, so ist mein wunsch, daß ein
begabter Mann die Starken und wlächtigen aus dem
tiefen Schlafe aufrütteln möge, in den sie gesunken
find; eine schwere aber eine edle Aufgabe. Und wenn
man uns nicht hören, oder uns schweigen machen will,
dann wird es die Gesellschaft sein, die den Schaden
zu tragen hat. Trwachen wird sie gewiß einmal,
aber zu spät, und dann wird das bsereinbrechen der
wlassen, eine zweite vandalenplünderung, nicht mehr
abzuhalten sein. Nnd das eine ist sicher: wenn es so
weit kommt, dann wird keine Rirche, kein Bankhaus
geschont werden. «wer Ohren hat zu hören, der
höre.» "

Tine gleich kräftige Rundgebung hat unseres wifsens
ein ausübender Anhänger der zeitgenössischen Ten-
d enz-Walerei noch nicht veröffentlicht. L. N.

SD

Tage.

„moderner Autoren"; wer ihrer genießen will, muß sein Be-
wußtsein ganz anders „eiustellen", als diesen gegenüber.
Aaun er das noch, dann wird er ihrer genießeu.

» Der „Liederborn" vou L m ma Troo n - !Naye r (Glden-
burg, Schnlze) enthält die Gaben eines zarten, weich em-
pfindcndcu aber auch kraftvoller Begeisterung fähigen Frauen-
gemütes — lobende Beiworte, denen wir noch die Anerkennung
gnter Gedanken lfinzufügen können, ohne doch damit den
dichterischen lvert der Sammlung schon ohne weiteres aner-
kannt zu haben. Aber er ift in sehr vielen Gedichten vor-
handen, besonders da, wo sich die verfasserin ganz schlicht
und unbekümmert giebt. Lmma Lroon-Nayer hegt, wie
aus der widmung ihrer „Frcya" hervorgeht, eine außer-
ordentlich warine Berehrung für Rittershaus, was wir, wie
wir bekennen müssen, nicht thun. Ls ist auch ein jedenfalls
nnbewußter Linfluß jenes rheinischen jdoeten, der für unser
Gefühl einen rednerischen Zug in manche der vorliegenden
Gedichte bringt, welcher unmittelbar an Rittershaus erinnert.
wie viel herzlicher, wie viel echter ist die Dichterin, wo sie
ohne viel Reflexionen ihr Lhe- und Nutterglück in kleinen



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