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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 21
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0332

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c.

winkel in seinem poetischen Gemüt" nannte. Und
gleich wird hinzugesügt: Lin solcher prosaischer winkel
findet fich überall in spanischer Dichtung und Rultur.
Neben dem fahlen, dürren Noß der Romantik trabt
der Lsel praktischer volksweisheit . . Die spanischen
Humanisten waren selbstgemachte Nlänner, die sich
mitten im Strom des Lebens bewegten, sie konnten
fechten, kommandiren, segeln, beten, sich kasteien, Ge-
schäfte führen; nichts Banausisches, nichts philiströses
ist in ihnen (I, 32).

Solche Züge werden gleich auf den ersten Seiten
(7 fg.) als für den spanischen Lharakter zur Zeit des
velazquez bezeichnend herausgehoben. wir stellen,
wie überhaupt im Lolgenden, die einzelnen Aussprüche,
ohne uns gar zu ängstlich uin eine völlig genaue
Verbindung derselben unter einander zu bekümmern,
im wesentlichen durchaus in der ihnen vom Derfasser
gegebenen Form einfach neben einander, um möglichst
wenig von der Nraft und Feinheit, die ihnen inne-
wohnt, verloren gehen zu lassen. Dieser Zeit des
Lervantes und Murillo will Zusti eine Nische im
sDantheon der A'lenschheit, nicht bloß ein Gefach im
Archiv historischer Funde gesichert wissen.

Doraufgegangen aber waren dieser periode eines
voll entwickelten Bolkstums Zeiten der verschieden-
artigsten fremden Linflüsse. Aus den maurischen und
französischen Geschmaek folgte nn t3. Zahrhundert,
getragen durch die großen gotischen Rirchenbauten,
der niederdeutsche, siandrische, der zu Anfang des t6.
Zahrh. seine volle Blüte erreichte, dann aber allmählich
durch die Nenaissance verdrängt wurde. Bietet schon
die Darstellung dieser Lntwickelung, die der Aunstge-
schichte ein ganz neues Gebiet erschließt, sehr viel des
Znteressanten, so fesselt doch noch in höherem Grade
die Schilderung der Linführung, Ausbreitung und des
Verfalls des italienischen Manierismus in
Spanien, weil sie die unmittelbare Linleitung zur Bio-
graphie des velazquez bildet und den Boden unter-
sucht, auf welchem die neue Runst emporwuchs. <Ls
handelt sich da um Lrscheinungen, die auch in unserer
Zeit ihre s)arallelen haben.

Nm die Atttte des t6. Zahrhunderts erscheinen
zuerst Gruppen rein italienisch geschulter Maler in
Spanien; in der zweiten ^älfte des Zahrhunderts
wurde das Studium der Proportionen und des Nackten
der Leitstern der Nlalerei; man machte die Lchönheit
zu einer Funktion der Zahlen (^4). Ls kostet Niühe
zu verstehen, was den Zeitgenossen an diesen wieder-
herstellern der Nlalerei so groß erschien; wir vergessen
die Anstrengungen, welche es ihnen kostete, so lang-
weilig zu malen. Nur die Lhrlichkeit im verhältnis
zum Gegenstand haben sie vor ihren auswärtigen
verwandten voraus (4^8). Die Gemälde der Nkeister
des neuen Ltils in Sevilla sind voll von Lntlehnungen
und Lrinnerungen aus Ztalien, vergebens sieht man
nach volkstvpen und -Gebärden, nach örtlich eigenen
Alotiven und Tönen: Diese werke könnten eben so
gut in Utrecht oder Florenz gemalt sein (33). s)ablo
de Tespedes (fi t6t8)zeigt uns diese spanischen Lin-
quecentisten in ihren Tugenden und Schwächen. Zhre
Ltudien waren gründlich und wissenschaftlich, ihre
Uunstideale hoch, jhre Bildung universell und fein.
Aber das Allgemeine nahm ihre ganze Araft in An-
, spruch, und für den Blick ins Leben blieb ihnen keine

Zeit übrig. Lespedes' Schicksal war die „große Nla-
nier", mit der Nom es ihm angethan hatte (30).

Zn der Zugendzeit des Velazquez (geb. t399)
waren freilich diese Sterne des italohispanischen j)ar-
nasses schon im verbleichen begriffen. Zn Sevilla
war der erste wirkliche Maler erstanden, den das t6.
Zahrhundert dort heroorgebracht: Zuan de las Noelas
(f t623). Die beiden Llemente, deren verschmelznng
den Tharakter der Sevillaner Malerei der nächsten
Generation ergab: Naturalismus und Mystik, hat er
zuerst zusammengebracht (52 ff.). Reine Rhetorik
der Gebärden, keine Treibhausschwärmerei ist bei ihm
anzutreffen: nur jenes fast heitere Lsochgefühl, welches
die wahre Steigerung der geistigen s)otenz begleitet.
Lr war zugleich aber der erste Nlaler des ^elldunkels
dort. Neben ihm wirkte Lserrera, der s)atriarch der
Zmpressionisten (37). s)acheco aber, dieser Runstver-
besserer, den die Sonne Andalusiens — nicht erwärmt
hat, der Lonntagmorgens den Gästen seines Ateliers
Lsomilien über die Symbolik seiner Rartons hielt, be-
saß wenigstens die Vorurteilslosigkeit, die erforderlich
war, um seinem großen Lchüler, der bald sein ^chwie-
gersohn werden sollte, die nötige Freiheit der Lnt-
wickelung zu lassen. Za selbst an Verständnis für
dessen Größe und Ligenart fehlte es ihm nicht (6 3 ff.,
No ff.).

Der widerstreit zwischen den Rünstlern der alten
und der neuen Nichtung wird aufs anschaulichste in
einem Dialog über die Malerei (83 ff.) ge-
schildert, dessen Lsandlung in das Zahr t63t verlegt
ist und der aus dem Lpanischen übersetzt sein soll.
Da er seiner ganzen Tendenz nach eben so gut heu-
tigen Tages verfaßt sein könnte, wollen wir letztere
Frage ganz unerärtert lassen und uns nur an der
Frische dieses Nedeturniers erfreuen.

Zhr nennt uns, sagt da Liner, immer Naffael,
Nlichelangelo und Durero. Das waren göttliche
Nlänner ohne Zweifel. Aber sollen wir denn ewig
bei den Ztalienern in die ^chule gehen? Wir haben
es nun ein Zahrhundert lang gethan. Lagt nicht
Luer Buonarroti selbst: N)er immer nachfolgt, kommt
nie voran — ? Und was sagte derselbe Nlichelangelo
zn senem Spanier, der in Nom die Antiken kopirte?
„Gibt es auch lebendige Menschen und Thiere in
Lpanien?" fragte er. Nehmt es nicht übel, diese
Nömerinnen, nach deren Vorbild wir unsere gemeine
spanische Natur veredeln sollen — ich zweifle nicht,
daß wir am Tiberufer allen Beistand S. Antonius
des Abts gegen ihre Blicke anzurufen nötig haben
würden -- aber hier, an die Ufer des Baetis (Se-
villa) verpflanzt, scheinen sie mir etwas welk geworden
zu sein.

Der Vertreter der Alten behauptet, die Zeichnung
sei die substantielle Form der Nlalerei, die Farbe da-
gegen ein bloßes Akzidenz; das Rolorit falle nicht
unter unfehlbare Gesetze wie die Zeichnung und ge-
statte folglich ein gewisses Nlaß von willkür. — Zch
sollte meinen, antwortet der Züngere, gerade weil
das Rolorit nicht nach Regeln zu lernen ist, müßte es
schwer und folglich edler sein.

Der Gegensatz der neuen und der alten Nichtung
wird auch bei Gelegenheit der Lharakteristik Zurba-
rans (I, t52) in scharfes Licht gestellt. Wie bei
Allen der neuen Generation war bei Zurbaran, doch

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