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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1914)
DOI Artikel:
Schlaikjer, Erich: Amerikanismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0132

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von derselben Sucht nach dem Gold besessen, und doch wird es so leicht keinem
einfallen, in einem öffentlichen Haus etwas Amerikanisches zu sehen.
Der unlautere Schwindel, der über vernichtete Existenzen seinem Ziele
zustürmt, stellt ebenfalls eine skrupellose Iagd nach dem Gold dar, ohne
daß ihm von dem Besonderen des Amerikanismus irgend etwas anzu-
haften brauchte. Wäre der Amerikanismus eine rein kapitalistische Er-
scheinung, so müßte er als eine kapitalistische Form der Entartung sich
in allen kapitalistischen Ländern finden. Aber zunächst blüht er ja nur
in Amerika.

Gehen wir ein paar Beispielen nach. In Deutschland wie in den
andern europäischen Ländern haben wir von unsern Vorvätern eine be-
stimmte Tradition des Bauens ererbt. Die moderne Industrie aber durch-
brach diese Aberlieferung, ließ die großen Städte mit ihren Mietkasernen
entstehen und bevölkerte die kleinen Städte mit schrecklichen Bauten. Man
braucht ja nur die Beispiele und Gegenbeispiele des Kunstwarts zu kennen,
um zu wissen, wie sehr wir in diesem Punkt heruntergekommen waren.
Immerhin aber begnügte man sich bei uns mit Mietkasernen von drei
bis vier Stock, in Amerika aber schossen die Wolkenkratzer empor.
Bei uns wurde die Tradition von der Industrie verwüstet, ihre Wurzeln
aber blieben noch da, in Amerika konnten die Wolkenkratzer so frech ge-
deihen, weil in dem jungen Lande noch keine eigentliche Tradition da war.

Der Amerikanismus verletzt nicht wie der Wucher und der Schwindel
moralische Begriffe; er opfert dem Mammon den ästhetischen
Wert und die ästhetische Tradition. In einem Wolkenkratzer steckt an
und für sich gar keine Unmoral, wohl aber ist er kulturlos und unästhetisch.
Daß Bryan in einem Variets auftritt, ist keine schlechte Handlung, wohl
aber ist es (vorausgesetzt, daß die Berichte vom „Gaukler unter Gauk-
lern" nicht die Sache entstellen) ein Unternehmen von peinlicher Würde-
losigkeit. Der Amerikanismus also ist nicht schlecht, sondern barbarisch.

Immer wenn wir einer Erscheinung gegenüberstehen, die wir als ameri-
kanisch empfinden, werden wir bemerken, daß sie durch die Vernichtung
eines ästhetischen Werts bestimmt ist. Wenn Mitterwurzer auf
seinen amerikanischen Gastspielreisen in den „Gespenstern" den Geist des
alten Alving als Gespenst über die Bühne gehen ließ, handelte er ameri-
kanisch; durch die Vernichtung eines ästhetischen Werts kam er zu einer
rohen Attraktion für das Publikum. Wenn Gretchen im Faust an einer
Nähmaschine sitzt und den Namen der Firma in den Dialog einflicht,
erleben wir einen schauderhaften Fall von ästhetischer Kulturlosigkeit und
zugleich einen schauderhaften Fall von Amerikanismus. Wenn ein Pastor
ankündigt, daß er nach der Predigt einen Ringkampf mit den drei stärksten
Männern seiner Gemeinde unternehmen will, handelt er amerikanisch,
weil er sich an der Ästhetik und an der Tradition seines Berufes ver-
sündigt. Das Unmoralische ist so wenig ein Kriterium des Ameri-
kanismus, daß er sich gelegentlich geradezu in den Dienst der Sittlichkeit
stellen kann. Bei dem eben erwähnten Geistlichen war es in gewissem
Sinne ja schon derFall, aber ein noch schlagenderesZeugnis legt dietzeils-
armee ab. Sie hat sittliche Großtaten verrichtet, obwohl ihre äußere
Aufmachung „amerikanisch^ wirkt. Die Vernichtung eines ästhe-
tischen Werts scheint mir das Hauptmerkmal des Amerikanismus zu
sein. Als weiteres kann dann noch erwähnt werden, daß die Vernichtung
häufig durch eine sinnlose Steigerung der Quantität erreicht wird.
 
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