Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

DOI issue:
Heft 9 (1. Februarheft 1914)
DOI article:
Bonus, Arthur: Ein deutsches Kulturprogramm
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0210

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
man ihr „weil" in ein „wenn" verwandelt. Das pflegt aber für eine
wertvolle Wahrheit noch nach rnehr als hundert Iahren zu lohnen.
Im Fall Fichtes steht es so, daß die eigentliche Wahrheit seiner Reden so
tief lag und so stark war, daß jetzt nach hundert Iahren erst die Mög-
lichkeit recht da ist, sie richtig zu werten. Und um ganz gerade heraus über
diesen Fall zu sprechen: die „Reden" enthalten ein Kulturprogramm,
das erst jetzt anfängt aktuell zu werden.

In der Tat, unser neuer sogenannter „Patriotismus" hat uns halb
lächerlich, halb verhaßt in Europa gemacht; es ist zuzugestehen. Woher
kommt das? Ist er ausfahrender als der französische? Nein, aber er ist
Nachahmung, und das Pflegt schnell fühlbar zu werden. In seinem Lignen
ist ein Mensch zu Hause, und das steht ihm. Ahmt er nach, so wird das
Nachgeahmte unorganisch. Selbst wenn es gar nicht übertrieben wird
— was ja bei Nachahmungen fast regelmäßig geschieht — wirkt es als
übertrieben, weil es unverhältnismäßig ist. Der Deutsche ist von Natur
bescheiden (das Wort im Sinn etwa von „sachlich") und gerecht. Hält
man ihm die französische Art von Patriotismus als Ideal vor — wie
das seit Iahrzehnten geübt wird — so wird er, um nur ja das Vorbild
nicht unerreicht zu lassen, plump drauflos prahlen. Er wird das werden,
als was er zur Zeit in Europa gilt, — nicht mit Recht, wie mich
dünkt; es ist nur, daß man die Schreier wie immer allein hört — ein
Großmaul. Und gerade je fremder ihm von Natur das Prahlen ist,
desto auffallender und komischer wird es wirken.

Wie steht nun der Patriotismus der Fichteschen Reden zu diesem
modernen? Wie das deutsche Wort Vaterlandsliebe, das Fichte allein
gebraucht, zu jenem Fremdwort, wie etwas in sich Gekehrtes, Inniges,
nach außen hin Stilles zu etwas Fremdem, Lärmendem, Rnverständlichem.
Sie stehen so zueinander, daß Fichte das Recht der Deutschen genau aus
den Eigenschaften ableitete, die der moderne „Patriotismus" ausgetrieben
hat. Diesen letzteren schildert er wiederholt mit großer Verächtlichkeit
als französischen Patriotismus oder, wie er in den „Reden" sagt, Patriotis-
mus des Auslandes. Sehr deutlich spricht er darüber in dem Aufsatz über
Patriotismus und sein Gegenteil von (807, der im 3. Bande des Nachlasses
steht, — Medicus* hat ihn mit Recht unabgedruckt gelassen; die „Reden"
sind aus ihm hervorgegangen, das Wertvollste seines Inhalts ist in sie
übernommen. Nur der Deutsche, heißt es da, könne eigentlich Patriot
sein, weil nur er im Zweck für seine Nation die gesamte Menschheit
umfasse, dagegen jeder anderen Nation Patriotismus selbstisch, engherzig
und feindselig gegen das übrige Menschengeschlecht ausfallen müsse. Hier
ist nun schon das „weil" angedeutet, das wir, um die Meinung recht ver-
stehen und uns für unsre Zeit aneignen zu können, in ein „wenn" oder
„solange" übersetzen müssen. In diesem Weil und Wenn liegt neben den
gleichfalls noch unausgeschöpsten pädagogischen Andeutungen der eigentliche
Wert der Reden für uns: das deutsche Kulturprogramm, das der An-
erkennung, geschweige Verwirklichung, noch harrt.

* In der sehr guten Auswahl der Werke Fichtes, 6 Bände, Leipzig, Meiner.
 
Annotationen