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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0019

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Adelsforschung - Wurzeln und Kontexte

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mag. Damit sind Probleme aufgeworfen, die bis heute nicht geklärt sind. In dieser
Arbeit soll versucht werden, ihre Grundlagen und Folgen darzustellen.

1.2.1. Die Gemeinfreienlehre
Den ersten dieser beiden Ansätze hat man in der Forschung häufig als „Gemein-
freienlehre" bezeichnet; als Abbreviatur für eine umfassende Theorie der sozialen
und rechtlichen Verhältnisse mag dieses Etikett auch heute noch passend sein.
Grundlegend war im Rahmen dieser Sicht die Vorstellung von der alten germani-
schen Freiheit, die man in den antiken schriftlichen Quellen, v.a. Caesar und Taci-
tus, finden zu können meinte. Diese Vorstellung hatte eine lange und ehrwürdige
Tradition. Die Germania von Tacitus war in der Zeit des Humanismus wiederent-
deckt worden und durch Drucke aus Venedig (1470) und Nürnberg (1473) bekannt
geworden.
Tacitus bot - auf den ersten Blick - das Bild einer aus Freien bestehenden Ge-
sellschaft, die normative Interpretation war aber schon früh umstritten und nicht
frei von nationalen Ressentiments. Nördliche Humanisten wie Hutten und
Wimpfeling, die der romanischen Kultur in Teilen durchaus kritisch gegenüber-
standen, fanden das bei Tacitus gezeichnete Bild erfreulich, während sich etwa
Aeneas Silvius Piccolomini abfällig über die „unzivilisierte" Wildheit der Germa-
nen äußerte. Daß diese unterschiedlichen Sichtweisen auch noch bei Montesquieu
einerseits und Voltaire andererseits festzustellen sind, sei nur am Rande erwähnt^.
Seither jedenfalls galten die in der Germania des Tacitus geschilderten Verhältnis-
se als Wurzeln der deutschen Sozial-, Verfassungs- und Rechtsgeschichte. Als
Ausgangspunkt wurde demgemäß eine genossenschaftliche Ordnung der germa-
nischen Zeit postuliert, bestehend aus gleichberechtigten und wirtschaftlich weit-
gehend gleichgestellten Freien, den „Gemeinfreien", die den Staat tragen. Zentral
erschienen in dieser Perspektive v.a. rechtsgeschichtliche Quellen, wobei man eine
Entwicklungslinie von Tacitus über die Leges und die Kapitularien der fränki-
schen Zeit bis hin zu den Rechtsspiegeln des ausgehenden Hochmittelalters zu
ziehen versuchte.
Im Rahmen dieser ersten Sicht lassen sich - wiederum stark verkürzt - drei
verschiedene Betrachtungsweisen unterscheiden, die auf eine Perspektivenver-
schiebung im Rahmen der Diskussion um die germanische und frühmittelalterli-
che „Staatlichkeit" zurückzuführen sind. Dominierte zunächst eine eher stände-

11 Vgl. HÖZLE, Freiheit, S. 36; SlAAB, Reconsideration, S. 53.
 
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