Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0190

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
186

Kapitel 3

3.2. Prosopographische Forschungen: Die Entdeckung der Reichsari-
stokratie
Die Erforschung des karolingerzeitlichen Adels wurde durch die bahnbrechenden
prosopographischen Untersuchungen von Gerd Tellenbach in eine neue Richtung
gelenkt. Der Kontext seiner Forschungen war dabei die heftig umstrittene Frage
nach der Entstehung des Deutschen Reichs und dem Beginn der deutschen Ge-
schichte im Prozeß der Auflösung des Karolingerreichs. Personengeschichtliche
Studien in sozial- und politikgeschichtlicher Absicht hatten zwar bereits eine ge-
wisse Tradition in der Geschichtswissenschaft; in der Mediävistik aber hatte man
sich - in Anknüpfung an die Verfahrensweise in der Alten Geschichte - bislang im
Grunde nur mit dem merowingischen Senatorenadel auf diese Weise beschäftigt,
und dieser galt eher als ein Randphänomen. Tellenbach erstellte eine Tiste führen-
der Familien des karolingischen Gesamtreichs. Sie umfaßte 111 Reichsaristokraten
aus 42 Geschlechtern, die er nach Stammeszugehörigkeit ordnetet Als zentral
kristallisierte sich eine Gruppe von Familien aus dem Maas-Mosel-Raum heraus,
dem vormaligen Austrasien, die gemeinsam mit den Karolingern politisch aufge-
stiegen war. Auf diese Weise sei eine durch den regionalen Adel ergänzte Reichs-
aristokratie entstanden.
Die Rolle des Königs schätzte Tellenbach bei diesem Formierungsprozeß als
besonders bedeutend ein. Die Reichsaristokratie sei vom ihm gefördert, wenn
nicht gar geschaffen worden; die „Königsnähe" sei ein entscheidender Faktor des
sozialen Aufstiegs gewesen, da die karolingischen Herrscher effektiv über die
Ämter verfügen und die Adligen ihres Vertrauens ein- und auch versetzen konn-
ten. So seien insbesondere fränkische Adlige in allen Teilen des Reichs als Amts-
träger eingesetzt worden und hätten den König als Feldherren, Diplomaten, Män-
ner der Verwaltung oder der Zentralregierung unterstützt. Fetztlich entstammte
der Reichsadel allerdings keineswegs nur den fränkischen Familien, sondern um-
faßte Familien aus allen Stämmen. Demgemäß sah Tellenbach in der Reichsaristo-
kratie die Klammer der Einheit des Reichs und die Grundlage der Erfolge karolin-
gischer Politik.
Das Bild, das Tellenbach damit vom karolingischen Reich gezeichnet hatte, leg-
te die Annahme nahe, daß man von einem erheblichen Wandel des Verhältnisses
zwischen König und Adel sprechen könne. Während in merowingischer Zeit die
Könige nur selten die Adligen zur politischen Mitarbeit hätten heranziehen kön-
nen und dabei keineswegs besonders effektiv gewesen seien, hätten die frühen
karolingischen Herrscher nicht zuletzt über ihre „Personalpolitik" die Integration
der Reichsteile vorangetrieben. Dies wurde auch als Grundlage für die politische

5 TELLENBACH, Königtum, S. 41-69.
 
Annotationen