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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0218

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214

Kapitel 3

die Konsensformei ein „politisch-ideologisches Kampfmittel der Reichszentrale
gegen die genuinen Herrschaftsrechte des Adels" gewesen sei, für bedenkenswert,
sah darin aber nicht ihre ausschließliche Funktion^.

3.6. Das heutige Grundproblem: Anlauf zu Staatlichkeit?
Das zentrale Problem bei der Einschätzung des Verhältnisses von König und Adel
ist zweifellos die umstrittene Frage nach Umfang und Charakter der Staatlichkeit
im karolingischen Reich. Die von Reinhold Schneider vermißte fränkische Rechts-
und Verfassungsgeschichte dürfte im Moment schwerlich konsensfähig zu schrei-
ben seinA zumal wenig darüber nachgedacht wird, wie man Staatlichkeit eigent-
lich zu definieren habe.
Die Vorstellung der älteren Forschung vom karolingischen Beamtenstaat ist
mit der Entdeckung der Rolle des Eigengewichts des Adels jedenfalls problema-
tisch geworden; die neuere Forschung betont zunehmend die Rücksichten, die
sogar ein Herrscher wie Karl der Große nehmen mußte, und nicht zuletzt die Tat-
sache, daß man über die tatsächlichen Auswirkungen königlicher Gestaltungsver-
suche nur sehr wenig sagen kann. Angesichts der heftig umstrittenen Frage nach
dem Verhältnis zwischen normativen Texten und Wirklichkeit dürfte es schwer
sein, ein konsensfähiges Gesamtbild zu entwerfen^.
Die Frage, ob man mit Reinhard Schneider vom „singulären Charakter" der
Staatlichkeit im Karolingerreich sprechen kamVA wirft nicht nur die von Fried
thematisierte Problematik der zeitgenössischen politischen Theorie auf, sondern
vor allem auch das Problem des Vergleichsmaßstabs. Im Hinblick auf die Verhält-
nisse in merowingischer Zeit sind gerade angesichts der Relativierung der Vorstel-
lungen von den königlichen Gestaltungsmöglichkeiten mehrere Antworten denk-
bar. Bei zahlreichen Themenkomplexen stehen Entwürfe, die Brüche oder Konti-
nuitäten betonen, nebeneinander. Trotz der Einschränkungen der älteren Sicht
möchte der größere Teil der Forschung am Konzept der Staatlichkeit für die karo-
lingische Zeit festhalten, auch wenn sich daraus nicht unbedeutende Probleme für
die logische Konsistenz der Sichtweise ergeben. Janet Nelson hat auf diese Schwie-
rigkeiten hingewiesen, wollte aber die Vorstellung, daß die Idee einer öffentlichen
Verwaltung existiert habe, nicht aufgeben. „Counts, marquises, dukes were in
principle agents of public authority"^.

192 Vgl. MÖRDER, Kapitularien, S. 57.
193 Vgl. R. SCHNEIDER, Frankenreich, S. 101.
194 Vgl. NELSON, Violence, S. 94.
195 Vgl. SCHNEIDER, Frankenreich, S. 127.
196 Vgl. NELSON, Violence, S. 93f.
 
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