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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0217

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Die Karolingerzeit

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nur in den Hintergrund gerückt^. Eine ähnliche Ansicht vertraten etwa Arnold
Buhler^, Reinhard Schneider^? oder Dieter Hägermann^s. Gerd Tellenbach ging
davon aus, daß im allgemeinen beide Seiten bemüht waren, ihren Willen aufei-
nander abzustimmenisp. Diese Einschätzung beruht prinzipiell auf der These der
autogenen Adelsrechte. In den Quellen ist jedenfalls nicht erkennbar, daß die Kon-
sensformel in der späteren Karolingerzeit häufiger verwendet worden wäre.
Eine andere Sicht hat in jüngerer Zeit Jürgen Hannig vorgeschlagen. Sie beruht
in erster Linie auf der Neueinschätzung der Kontinuitätsfrage. Hannig sah im
Consensus eine Formel, die aus den Provinzialkonzilien, Synoden und städtischen
Verwaltungen übernommen worden sei und demnach als eine Form der Kontinui-
tät spätantik-römischer Staatlichkeit und kirchlichen Gedankenguts betrachtet
werden müsse. Der Gedanke von Rat und Zustimmung sei auf diesen beiden We-
gen in die Gesetzestexte eingedrungen und könne keineswegs als Niederschlag
der germanischen Kontinuität eines ursprünglichen Mitspracherechts des Volkes
oder des Adels verstanden werden. Der karolingische Konsens-Gedanke umfaßte
nach Hannig auch den Anspruch auf das Einverständnis von weltlichem und
geistlichem Adel. Es sei dagegen nicht erkennbar, daß der Konsens der Großen als
eigenständige und rechtserhebliche Willenskundgabe nötig gewesen sei, um Edik-
ten des Königs Geltung zu verschaffen. Demnach sei der Co7ise7!SMS in
erster Linie als Aufforderung zur Mitarbeit am karolingischen Königsstaat zu
verstehen^".
Hannig sah darin einen prinzipiellen Unterschied zur merowingischen Zeit.
Der merowingische Adel habe den Staat dem König und den Bischöfen überlas-
sen; die Könige hätten erst seit dem Beginn des 9. Jahrhunderts versucht, den Adel
„einzustaaten". Der Konsensbegriff war in dieser Sicht also dazu geeignet, das
adlige Mitbestimmungsrecht sogar zu relativieren, da Einheitlichkeit im Sinne von
Wahrheit Widerspruch ins Unrecht stellte. Die ursprüngliche Absicht, mit der
Formel die faktische Machtstellung des Adels einzuschränken, habe allerdings
sogar kontraproduktive Folgen mit sich gebracht. Die Argumentation konnte ver-
wendet werden, um Mitwirkungsrechte des Adels einzufordern. Dies sei insbe-
sondere in den Bruderkämpfen der Söhne Ludwigs des Frommen geschehen.
Diese These ist inzwischen allerdings auf die Kritik von Harald Siems gesto-
ßen. Siems lehnte die Vorstellung ab, daß die Kapitularien eher als Programm-
schriften der königlichen Reichsverwaltung zu interpretieren seien, die sich gegen
die Herrschaftsrechte des Adels richteten^. Hubert Mordek hielt die Ansicht, daß
185 Vgl. AFFELDT, Problem.
186 Vgl. BÜHLER, Capitularia, S. 426-432.
187 Vgl. R. SCHNEIDER, Schriftlichkeit, S. 278.
188 Vgl. HÄGERMANN, Entstehung.
189 Vgl. TELLENBACH, Grundlagen, S. 569.
190 Vgl. HANNIG, Consensus, bes. S. 164.
191 Vgl. SIEMS, Handel, S. 379-443.
 
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