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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0476

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472

Kapitel 11

11.4. Das Spätmittelalter - Krise des Adels?

11.4.1. Krisentheorien
Das Spätmittelalter galt der älteren Forschung grundsätzlich als eine Zeit der Kri-
se. Man wird annehmen dürfen, daß die Vorstellung vom Verfall der staatlichen
Gewalt im Reich den Rahmen dieser Einschätzung bildete; die umfassendsten
Krisentheorien wurden allerdings für die spätmittelalterliche Wirtschaft entwi-
ckelt. Auf der Grundlage dieser Einschätzung wurden dann auch krisenhafte Er-
scheinungen in der Gesellschaft konstatiert; insbesondere der Adel sei davon be-
troffen gewesen.
Altere monokausale Theorien, die etwa unter dem Verweis auf Geldver-
schlechterungen den monetären Bereich als Ausgangspunkt für eine spätmittelal-
terliche Wirtschaftskrise betrachteten, wurden von einer Vorstellung abgelöst, die
insbesondere die Entwicklung des Agrarsektors ins Zentrum der Betrachtung
rückte. Als klassisch gilt Wilhelm Abels Theorie der Agrarkrise, ein seit den drei-
ßiger Jahren entwickeltes Modell der spätmittelalterlichen Agrarverhältnisse, das
vergleichsweise geschlossen und theoretisch erheblich besser durchdacht warA
Abel hat diese Theorie bis in die achtziger Jahre hinein stetig weiterentwickelt und
verbessert. Ausgangspunkt war die Untersuchung der spätmittelalterlichen Wü-
stungen, deren Existenz bislang in erster Linie mit dem Hinweis auf kriegerische
Auseinandersetzungen erklärt worden war. Anknüpfend an ältere Arbeiten be-
schäftigte sich Abel mit Lohn- und Preisentwicklungen und stellte einen kausalen
Zusammenhang mit der Bevölkerungsentwicklung her. Für ihn war der demogra-
phische Faktor der zentrale Ansatzpunkt: Die Bevölkerungsentwicklung erschien
ihm als Basis für wirtschaftliche und soziale Änderungen.
Demnach war das Bevölkerungswachstum des Hochmittelalters durch einen
Rückgang im 14. Jahrhundert abgelöst worden. Die schweren Hungersnöte der
Jahre 1315 bis 1317, vor allem aber die katastrophalen Pestwellen seit der Mitte des
14. Jahrhunderts (v.a. 1347-1351) führten zu einer erhöhten Sterblichkeit und zu
Bevölkerungsverlusten, die zwischen einem Fünftel und einem Drittel der Ge-
samtbevölkerung Europas betrugen.
Die Folge war eine insgesamt abnehmende Nachfrage nach Grundnahrungs-
mitteln. Seit der zweiten Hälfte des 14. und vor allem dann im 15. Jahrhundert
sanken demnach die Getreidepreise. Insbesondere neu angelegte Siedlungen in
Gebieten mit für die Landwirtschaft weniger geeigneten Böden wurden aufgege-
ben, da sie nicht mehr gewinnbringend zu bewirtschaften waren. Die Bauern be-

124 Vgl. AßEL, Geschichte, S. 103-137; DERS., Agrarkrisen, S. 44-103; DERS., Strukturen.
 
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