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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0364

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Kapitel 8

8.3. Lese- und Schreibfähigkeit als Indikatoren für Bildung
Diese unterschiedlichen Gesamtbilder haben selbstverständlich Konsequenzen für
die Frage, inwieweit man von adliger Bildung sprechen kann. Methodische Pro-
bleme bereiten die Quellen: Das Aneinanderreihen von Einzelbeispielen kann, je
nach Gesamtbild, zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen führen. Damit ver-
knüpft sind auch in diesem Fall Schwierigkeiten der Quellenterminologie, die sich
insbesondere an den umstrittenen Begriffen ühenüMS und z'Ez'üenüMS demonstrieren
lassen.
In einem klassischen Aufsatz hat Herbert Grundmann die Vorstellung von ei-
nem Nebeneinander zweier „Kulturen" entworfen, die er mit dem Verweis auf das
Gegensatzpaar ü'Rgnüzzs - z'LüignüMS begründete^. Die Schriftlichkeit im Adel sei
gering gewesen. Die Bezeichnung z'Lz'hgmfzis verweise auf nicht vorhandene Latini-
tät, nicht unbedingt jedoch auf fehlende Bildung. Neben der literarisch-
lateinischen Bildung habe immer auch eine andersartige Laien- und Adelsbildung
existiert, die allerdings nicht Lese- und Schreibfähigkeit beinhaltete. Die Interpre-
tation von Quellen, in denen von der Illiteralität die Rede ist, sei demnach schwie-
rig. Einen Wandel sieht Grundmann seit dem 12. und 13. Jahrhundert: LzücratMS
bezeichne nun nicht mehr nur Lateinleser, sondern allgemein Gebildete. Auch
Riehe betrachtete das 12. Jahrhundert als eine Übergangsperiode. Lateinkenntnisse
seien seither nicht mehr alleiniger Ausweis der Kultur gewesen. ILz'ügrahzs bedeute
im 12. Jahrhundert, nicht Latein zu können^. Joachim Bumke meinte in seiner zum
modernen Klassiker gewordenen Abhandlung über die höfische Gesellschaft,
vieles deute darauf hin, daß in der höfischen Zeit neben der schriftlich konzipier-
ten Literatur eine intakte mündliche Literatur existiert habeA Karl Hauck versuch-
te zu zeigen, daß schon vor der ritterlichen Dichtung Adelshäuser Mittelpunkte
einer haus- und sippengebundenen Dichtung gewesen seien, und wollte diese
teilweise auf nichtchristliche Wurzeln zurückführen. Im Rahmen seines Ansatzes
hob er germanische Traditionen hervor, benutzte dies allerdings (und das blieb
alleinstehend), um ein freundlicheres Bild der Kultur des Laienadels zu entwer-
fen^. Man könne von einer einheitlichen Entwicklung seit Karl dem Großen über
eine neue Blütezeit der lateinischen Adelsliteratur im 11. Jahrhundert bis zur stau-
fischen Hofliteratur des 12. Jahrhunderts sprechen. Die Forschung sei bis heute
geneigt, das Faktum, daß lateinische Literatur einer zwar dünnen, aber eben doch
vorhandenen Laienschicht zugänglich gewesen sei, vollständig zu leugnen^. Die-

41 Vgl. GRUNDMANN, Litteratus.
42 Vgl. RtCHE, Ecoles, S. 287-313, bes. S. 306.
43 Vgl. BUMKE, Höfische Kultur, Bd. 2, S. 614.
44 Vgl. HAUCK, Haus- und sippengebundene Literatur.
45 Vgl. HAUCK, Mittellateinische Literatur, Sp. 2559.
 
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