361
ses positive Bild ließ sich allerdings nur durch die Verwendung einer äußerst um-
fassenden Definition von „Adelsliteratur" rechtfertigen, die etwa auch die Litera-
tur des Kaiserhofs umfaßte. Diese Einschätzung beruhte natürlich auf den Vorstel-
lungen der neueren Adelsforschung, der das Königtum nur als gesteigerter Adel
galt. Schließt man dagegen den Kaiserhof aus, wie Bumke dies macht, explizit
gegen Hauck gerichtet, dann ist das Bild erheblich düsterer. Der Begriff kann sich
angesichts des von Bumke eher skeptisch beurteilten Bildungsniveaus des weltli-
chen Adels zum größten Teil dann nur auf die mündlichen Traditionen beziehen.
Im Hinblick auf die Auftraggeber von Literatur meinte Bumke, daß literarisches
Mäzenatentum im Hochmittelalter offenbar auf Einzelfälle beschränkt gewesen
seiA
Der vorherrschenden Sicht gelten Lese- und Schreibkenntnisse bei weltlichen
Adligen bis ins 13. Jahrhundert demnach als Ausnahmen. Verweisen kann man
dabei auf Klagen über die Schriftunkundigkeit des Laienadels, die etwa Wipo oder
Bonizo von Sutri im 11. Jahrhundert äußerten. Diese Kritik blieb bis ans Ende des
Spätmittelalters unverändert. Schon Thompson hatte daher die Ansicht vertreten,
daß Lese- und Schriftkenntnisse bei den Adligen im Reich wenig verbreitet waren,
und Herbert Grundmann betrachtete sogar diese im Grunde eher skeptischen
Ausführungen noch als zu euphemistisch^. Sprandel meinte, daß man kaum von
einer nennenswerten Schriftkultur in der Volkssprache seit der Karolingerzeit
sprechen könneA Bumke verwies auf die Probleme der Quellenlage. Die Ver-
streutheit der Nachrichten erschwere eine Gesamteinschätzung. Allerdings deute
alles darauf hin, daß die Gesellschaftsform des Adels vom 9. bis ins 14. Jahrhun-
dert im wesentlichen analphabetisch gewesen seiV Dies schließe nicht aus, daß
einzelne Mitglieder fürstlicher oder adliger Familien gebildet waren.
Auch Fleckenstein übernahm die These von einem Nebeneinander einer welt-
lich-schriftlosen (adligen) und geistlich-schriftlichen (klerikal-lateinischen) Kul-
turA Im 12. Jahrhundert sei dieses Nebeneinander allerdings an den Höfen über-
wunden und in der ritterlich-höfischen Gesellschaft aufgehoben worden. Die alte
Scheidung zwischen ??zz7z'üs z'Ez'üenüz und dcrz'cz Iz'ücnüz habe seither nicht mehr
gegolten; Adlige hätten sich für die lateinische Literatur interessiert, wenngleich
dies nicht unbedingt mit dem Gebrauch der Schrift einhergegangen sei. Die Kleri-
ker hätten antikes und christliches Bildungsgut zur Verfügung gestellt. Auf diese
Weise sei das Bildungsmonopol des Klerus durchbrochen worden. Sabine Krüger
allerdings hielt den verhöflichten Ritter nicht für den Normalfall, auch die Verach-
tung der Literalität sei weiterhin bezeugt. Erst im 15. Jahrhundert habe sich dies
46 Vgl. BUMKE, Mäzene, S. 44-58.
47 Vgl. GRUNDMANN, Litteratus, S. 9 Anm. 24, 41.
48 Vgl. SPRANDEL, Gesellschaft, S. 107
49 Vgl. BUMKE, Mäzene, S. 55f.
50 Vgl. FLECKENSTEIN, Miles und clericus.