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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0406

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402

Kapitel 9

bereichs noch eine Rolle gespielt. Parisse verwies auf die Verhältnisse in Lothrin-
gen^. Im romanischen Teil habe es keine Ministerialität gegeben, sondern eine
breite „Mittelschicht" aus Freien. Die Sprachgrenze war auch die Grenze zwischen
freien und unfreien mildes.

9.6. Ministerialität und höfische Literatur
Die Rolle der Ministerialität in der höfischen Kultur wird im wesentlichen mit
zwei Fragestellungen untersucht. Zum einen kann man die Frage aufwerfen, wel-
che Rolle Ministerialen als Träger der Kultur und als Mäzene spielten, zum ande-
ren wird diskutiert, ob die Inhalte der höfischen Dichtung als Ausdruck gesell-
schaftlicher Prozesse verstanden werden können.
Im Rahmen einer sozialgeschichtlich interessierten Literaturwissenschaft wur-
de die These aufgestellt, daß die höfische Dichtung in Deutschland hauptsächlich
von Ministerialen getragen worden sei; demgemäß seien zunächst Ideale der Mi-
nisterialität verarbeitet und propagiert worden. Verwiesen wurde dabei insbeson-
dere auf den Dienstgedanken, der als zentraler Bestandteil des Selbstverständnis-
ses der Ministerialität betrachtet wurde. Aloys Schulte hatte schon 1895 die These
aufgestellt, daß die Minnesänger in erster Linie aus der Ministerialität stammten^.
Damit kompatibel war die Auffassung von Paul Kluckhohn, daß deutsche Minne-
sänger den Geist des provenzalischen Minnesangs, nicht aber dessen Vasalli-
tätsterminologie übernommen hätten. Der von der Ministerialität propagierte
Dienstgedanke sei zentral für den deutschen Minnesang gewesen^.
Wieder entdeckt worden ist diese These am Ende der sechziger Jahre des letz-
ten Jahrhunderts durch den Romanisten Erich Köhler, der am Beginn einer „sozio-
logischen Literaturwissenschaft" in Deutschland stand. Köhler schloß von literari-
schen Eigenarten der französischen Trobadorlyrik auf die gesellschaftliche Wirk-
lichkeit. Die ritterliche Standesideologie sei aus der Perspektive des aufstiegswilli-
gen niederen Adels konzipiert worden, als deren Wortführer die Trobadors zu
betrachten seien. Die spezifische Minnekonzeption, die den immerwährenden
Dienst oder das Streben nach Bewährung höher bewertet habe als den Erfolg
selbst, sei Ausdruck des sozialen Höherstrebens des besitzlosen Kleinadels in
Frankreich. Der Vergleich mit der deutschen Minnelyrik zeige den unterschiedli-
chen Status der niederen Ritter in Frankreich und der Ministerialen in Deutsch-
land. In Deutschland fehlten Motive der französischen Trobadorlyrik, vor allem
228 Vgl. PARISSE, La rtoblesse Lorraine; DERS., Noblesse et chevalerie.
229 Vgl. SCHULTE, Standesverhältnisse.
230 Vgl. KLUCKHOHN, Ministerialität und Ritterdichtung. Vgl. aber auch die Einschränkungen bei
KLUCKHOHN, Minnesang, bes. S. 61ff.
 
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