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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0307

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6. Die Struktur adliger Familien:
Von der Sippe zum Geschlecht

6.1. Das Problem der Sippe
Die Frage nach der Familienstruktur in germanischer Zeit und im frühen Mittelal-
ter war für die ältere Forschung, für die ein rechtlich definierter Adel in dieser Zeit
ja nicht existierte, konsequenterweise ein Problem der Gesamtgesellschaft. Für die
Zeit vor der Völkerwanderung ging man von der Existenz einer (festen) agnati-
schen Sippe aus, die als geschlossener Verband alle männlichen Nachkommen
umfaßt habe, also nur Blutsverwandte, die auf einen gemeinsamen Vorfahren, den
„Stammvater", zurückgingen. Abgelöst worden sei diese Formation am Beginn
des Mittelalters durch die (offene) cognatische Sippe, die auch Verschwägerte
umfaßt habe und in den Leges sichtbar seik
Aufgrund der ansatzbedingt hohen Wertschätzung der Rechtsquellen erschien
die Sippe für Rechtshistoriker wie Heinrich Brunner, Otto von Gierke oder Ri-
chard Schröder als zentraler Rechtsbegriff und als Grundelement des Rechtslebens
mit eigenem Besitz, geleitet von Sippenältesten, schließlich sogar als eine Sie-
dlungseinheih. Diese Auffassung wurde in den dreißiger Jahren unter eindeutig
ideologischen Vorzeichen noch weiter ausgebaut. Die Sippe war in dieser Sicht die
Grundformation nicht nur des Rechtslebens, sondern auch der politischen und
sozialen Verfassung^.
Nach 1945 ist diese Ansicht auf Kritik gestoßen. Insbesondere Felix Genzmer
hat 1950 den Charakter der Sippe als Rechtsverband in Frage gestellt. Der Begriff
sei allenfalls verwendbar als Bezeichnung für einen „unscharf begrenzten und
wechselnden Verwandtenkreis'A Im Kontext der nahezu parallel vorgetragenen
Kritik von Kuhn über die Bedeutung der germanischen Gefolgschaft und der
Zweifel Kroeschells, daß man im Haus den Kern aller Herrschaft sehen könne,
gewann diese Auffassung durchaus grundsätzliche Bedeutung für das Bild der

1 Vgl. H. BRUNNER, Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 111-133, 324-332. Vgl. dazu auch WENSKUS, Amt, S.
53if.; SPRANDEL, Verfassung, S. 32-35, 41.
2 Vgl. nur H. BRUNNER, Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 110-133; heute noch MlTTEts/LtEBERlCH, Rechtsge-
schichte, S. 24f.
3 Vgl. dazu (unter Rückgriff auf GROENBECH, Kultur) z.B. HELBOK, Volk, S. 231-237; KlENLE, Gemein-
schaftsformen, S. 3-135.
4 GENZMER, Sippe, S. 48.
 
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