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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0074

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70

Kapitell

RoHe in den südlichen Teilen des Reichs gespielt habe. Im Zeichen einer eher kul-
turprotestantisch und national orientierten Geschichtswissenschaft wurden römi-
sche Einflüsse kaum beachtet^.
Deutlich wird dies nicht zuletzt gerade in der Rechtsgeschichte, deren Ergeb-
nisse angesichts der Vorstellung, der Zentralbegriff zur Schilderung der Sozial-
struktur sei derjenige des Rechtsstands, auch für sozialgeschichtliche Fragestel-
lungen und damit für die Frage nach der Existenz eines Adels die notwendigen
Antworten zu geben versprachen. Die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts
konstruierte ein germanisches Rechtssystem, verstand dies als eine wissenschaftli-
che Rekonstruktion und formulierte Folgerungen, die etwa im Flinblick auf das
sozialstaatliche Privatrecht tatsächlich Auswirkungen auf die Gesetzgebung dieser
Zeit hatten^.
Das Problem dieser Verfahrensweise hat, aus der Rückschau, Gerhard Dilcher
angesprochen: Hier war ein Einfallstor für nationalsozialistische Wertvorstellun-
gen, das durch die kulturprotestantische, und „nationale bis völkische Gesinnung"
geschaffen worden waHV In der Zeit des Nationalsozialismus war die germani-
sche Kontinuitätslinie dann auch eine Perspektive, an der nicht zu rütteln war,
wenngleich man über einzelne Elemente durchaus diskutieren konnte. Die ex-
tremste Form der germanischen Kontinuitätsthese ist von Rudolf Much und des-
sen Schüler Otto Hofier vertreten worden. Der Historikertag des Jahres 1937, auf
dem Höfler sein programmatisch gedachtes Referat über die germanische Konti-
nuität hielt, war nicht zuletzt von den Debatten über dieses Thema geprägt^. Auf
der Hand liegt, daß hier normative Einflüsse im Hintergrund standen: Die roma-
nischen Traditionen galten nicht nur als unbedeutend, sondern natürlich auch als
ablehnenswert. Gustav Kossinna etwa meinte dezidiert: Die Germanen dürfe man
nicht ein barbarisches Volk nennen, so wie dies die Römer und noch mehr die
„Nachrömer" gemacht hätten^.
Marc Bloch, der bereits früh die Überbetonung der germanischen Kontinuitä-
ten durch die deutschen Historiker seiner Gegenwart kritisierte^, fand in diesem
Klima natürlich kein Gehör. Nach 1945 änderte sich diese Perspektive in der deut-
schen Geschichtswissenschaft zunächst keineswegs grundsätzlich: Die Bedeutung
der germanischen Kontinuitäten wurde etwa auch von Historikern wie Gerd Tel-

341 Vgl. dazu bereits die aufschlußreiche Kontroverse zwischen WAITZ, Zur deutschen Verfassungsge-
schichte, bes. S. 13-18, 35-41, und SYBEL, Geschlechtsverfassung, bes. S. 346f.
342 Vgl. dazu DlLCHBR, Warum Rechtsgeschichte. Zum Kontext vgl. etwa SONTHEIMER, Antidemokrati-
sches Denken, S. 244-250; HERBERT, Best, S. 57-63,166ff.
343 DlLCHER, Warum Rechtsgeschichte, S. 4, 12ff.
344 Vgl. HÖFLER, Kontinuitätsproblem.
345 Vgl. KOSSINNA, Vorgeschichte, S. 204.
346 Vgl. K.F. WERNER, Marc Bloch et la recherche, S. 131.
 
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