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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0113

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Die Merowingerzeit

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sollten. Dennoch zeigte sich sehr schnell, daß man über die Grundpositionen nicht
hinauskam. Zunächst untersuchte Alexander Bergengruen die Verhältnisse im
Zentralfrankenreich der Merowingerzeit, wobei er u.a. siedlungsgeschichtliche
Methoden verwendete. Bergengruen, ein Schüler von Franz Steinbach, der die
Vorstellung von der Adelsherrschaft schon früh kritisiert hatte, nahm für sich in
Anspruch, die erste Spezialstudie zu diesem Thema zu verfassen, und kam zu
dem Ergebnis, daß es einen Adel zur Zeit der ersten königlichen Niederlassung im
Seinebecken nicht gegeben habe. Der Adel sei seit der Mitte des 6. Jahrhunderts
aus dem königlichen Gefolge durch Landschenkungen entstanden. Das Ämterwe-
sen der römischen Zeit sei übernommen worden; der mit dem Amt verbundene
reiche Amtsbesitz habe die materielle Grundlage für jetzt entstehende Grundherr-
schaften gelegt. In Übereinstimmung mit der älteren Sicht sah Bergengruen nur
die Merowinger als echte Nachkommen der pnüctpcs und reges von Tacitus. Der
Adel rekrutierte sich aus dem Kriegsgefolge, gelangte in den Besitz von Ämtern
und errichtete seit 600 seine Grundherrschaft nach königlichem Vorbild. Es handle
sich um einen „Funktionsadel". Im wesentlichen verknüpfte Bergengruen damit
die alte Dienstadelstheorie mit der Vorstellung von der großen Bedeutung des
Grundbesitzes für die soziale Stellung. Den Ausgangspunkt der sozialen Entwick-
lung sah er nicht anders als die ältere Lehre: „Diesen Besitz zu seinen Anfängen
zurückzuverfolgen, heißt zugleich auch, sich dem Zeitpunkt nähern, an welchem
diese Menschen das Los der menschlichen Gleichheit verließen und einen Stand
erhöhten Ansehens, aber auch erhöhter Verantwortung zu bilden begannen"^.
In wichtigen Teilen kompatibel mit dieser Sicht war die Untersuchung von Rolf
Sprandel über die merowingische Sozialstruktur. Sprandel kam zu dem Ergebnis,
daß sich diese im letzten Viertel des 6. Jahrhunderts einschneidend gewandelt
habe. Ganz anders als Bergengruen aber ging er davon aus, daß der Verfall der
Staatsverfassung samt Ämterbezeichnungen schon in der Spätantike stattgefunden
habe. Weder der spätmerowingische cowcs noch der merowingische ÜMX seien
Nachfolger eines Beamten im spätrömischen Reich. Ein Adel sei durch Besitzak-
kumulation entstanden, jedoch nicht als Rechtsstand. Sprandel unterschied zwi-
schen diesem Grundbesitzeradel und einem Adel im Königsdienst. Kontinuitäten
zur Spätantike schloß er ausA Seine Analyse knüpfte in vielerlei Hinsicht an die
klassische Sicht an, entwarf allerdings nicht zuletzt die Vorgeschichte der angeb-
lich andersartigen Verhältnisse in der Karolingerzeit, die sein Lehrer Gerd Tellen-
bach untersucht hatte. So betonte Sprandel auch die Diskontinuitäten zwischen
Merowinger- und Karolingerzeit: Der Adel sei unfähig gewesen, das Reich bei
schwindender Königsmacht zu regieren, und so habe im 7. Jahrhundert eine lange
Periode ununterbrochener Adelskämpfe begonnen. Durch übersteigertes Interesse

25 BERGENGRUEN, Adel, S. 12.
26 Vgl. SPRANDEL, Der merovingische Adel, S. 14. Vgl. auch DERS., Struktur.
 
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