Die Karolingerzeit
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kann, daß Konzepte von Staatlichkeit existierten. Johannes Fried hat dies dezidiert
verneint, „Herrschaftsverband" sei der angemessene Ausdruck^. Noch unter den
Karolingern sei das Reich nicht als abstrakter Verband betrachtet worden, der
unabhängig vom König bestanden hätte. Unter dem mgzizrm sei die Summe der
Rechte des Königs zu verstehen; erst seit dem ausgehenden 9. Jahrhundert habe
sich eine transpersonale Auffassung von Staat und Ämtern herausgebildet. „Zwi-
schen Kirche und Königshaus" habe der karolingische Staat noch kein eigenes
Konzept gefunden und sei daher in eine Krise geraten. Folglich könne man in den
Grafen keine Amtsträger sehen; sie seien als Diener des Königs betrachtet wor-
den^k ln dieser Perspektive läßt sich die Verwendung des Begriffs mzrzz'sfgrz'aüs
auch für hohe „Amtsträger" schlüssig erklären. Ähnlich meinte Dietmar Willo-
weit, daß die antike Staatlichkeit rasch verfallen sei. Unter Karl dem Großen habe
es kein wohlgegliedertes Ämterwesen gegeben, sondern eine gut durchdachte
Organisation der königlichen Dienerschaft. Grafen und Herzoge erschienen dem-
nach als mzFzz'shz, als Diener des Königs; sie seien zu Gehorsam im Rahmen eines
Unterwerfungsverhältnisses verpflichtet gewesen^.
Es liegt auf der Hand, daß Karl Ferdinand Werner im Rahmen seiner Theorie
vom langen Weiterwirken spätantiker Verhältnisse ein völlig anderes Bild der
Karolingerzeit entwarf. Werners Vorstellung von der Verwaltung des karolingi-
schen Reichs beruht auf der Annahme eines wohlorganisierten Ämterwesens; der
karolingische König habe - im Unterschied zum Reich des 10. bis 13. Jahrhunderts
- tatsächlich über einen funktionierenden Verwalterstab verfügt^?.
Hans-Werner Goetz hat nach begriffsgeschichtlichen Untersuchungen Frieds
Sicht mit Nachdruck bestritten^. Staatstheoretisches Denken habe in der Karolin-
gerzeit bereits existiert. Der Staat sei nicht nur als Sache des Herrn verstanden
worden, sondern zumindest in Ansätzen auch als Sache der Beherrschten, vorab
der Großen und Getreuen des Königs^. Die Frage ist offen"".
104 Vgl. FRIED, Herrschaftsverband; vgl. auch DERS., Weg, S. 306f.
105 Vgl. FRIED, Herrschaftsverband, S. 12.
106 Vgl. WiLLOWElT, Verfassungsgeschichte, S. 28.
107 Vgl. K.F. WERNER, Missus, bes. S. 111.
108 Vgl. GOETZ, Regnum.
109 Vgl. GOETZ, Regnum, S. 188.
110 Vgl. die Replik von FRIED, Gens und regnum, S. 92-102; dazu wiederum GOETZ, Mediävistik, S. 184f.
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kann, daß Konzepte von Staatlichkeit existierten. Johannes Fried hat dies dezidiert
verneint, „Herrschaftsverband" sei der angemessene Ausdruck^. Noch unter den
Karolingern sei das Reich nicht als abstrakter Verband betrachtet worden, der
unabhängig vom König bestanden hätte. Unter dem mgzizrm sei die Summe der
Rechte des Königs zu verstehen; erst seit dem ausgehenden 9. Jahrhundert habe
sich eine transpersonale Auffassung von Staat und Ämtern herausgebildet. „Zwi-
schen Kirche und Königshaus" habe der karolingische Staat noch kein eigenes
Konzept gefunden und sei daher in eine Krise geraten. Folglich könne man in den
Grafen keine Amtsträger sehen; sie seien als Diener des Königs betrachtet wor-
den^k ln dieser Perspektive läßt sich die Verwendung des Begriffs mzrzz'sfgrz'aüs
auch für hohe „Amtsträger" schlüssig erklären. Ähnlich meinte Dietmar Willo-
weit, daß die antike Staatlichkeit rasch verfallen sei. Unter Karl dem Großen habe
es kein wohlgegliedertes Ämterwesen gegeben, sondern eine gut durchdachte
Organisation der königlichen Dienerschaft. Grafen und Herzoge erschienen dem-
nach als mzFzz'shz, als Diener des Königs; sie seien zu Gehorsam im Rahmen eines
Unterwerfungsverhältnisses verpflichtet gewesen^.
Es liegt auf der Hand, daß Karl Ferdinand Werner im Rahmen seiner Theorie
vom langen Weiterwirken spätantiker Verhältnisse ein völlig anderes Bild der
Karolingerzeit entwarf. Werners Vorstellung von der Verwaltung des karolingi-
schen Reichs beruht auf der Annahme eines wohlorganisierten Ämterwesens; der
karolingische König habe - im Unterschied zum Reich des 10. bis 13. Jahrhunderts
- tatsächlich über einen funktionierenden Verwalterstab verfügt^?.
Hans-Werner Goetz hat nach begriffsgeschichtlichen Untersuchungen Frieds
Sicht mit Nachdruck bestritten^. Staatstheoretisches Denken habe in der Karolin-
gerzeit bereits existiert. Der Staat sei nicht nur als Sache des Herrn verstanden
worden, sondern zumindest in Ansätzen auch als Sache der Beherrschten, vorab
der Großen und Getreuen des Königs^. Die Frage ist offen"".
104 Vgl. FRIED, Herrschaftsverband; vgl. auch DERS., Weg, S. 306f.
105 Vgl. FRIED, Herrschaftsverband, S. 12.
106 Vgl. WiLLOWElT, Verfassungsgeschichte, S. 28.
107 Vgl. K.F. WERNER, Missus, bes. S. 111.
108 Vgl. GOETZ, Regnum.
109 Vgl. GOETZ, Regnum, S. 188.
110 Vgl. die Replik von FRIED, Gens und regnum, S. 92-102; dazu wiederum GOETZ, Mediävistik, S. 184f.