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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0222

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218

Kapitel 4

Schaftsgefühl sprechen könne; in der Sybel-Ficker-Kontroverse spielte diese Frage
eine nicht unbeträchtliche Rolle. Da ein so verstandenes Bewußtsein der Gemein-
samkeit in den Quellen auch mit großer Mühe allenfalls in Ansätzen nachzuwei-
sen war, setzte sich die insbesondere von Julius Ficker repräsentierte Auffassung
durch, daß man für diesen Zeitraum kaum von völkisch-deutschen Elementen
sprechen könne. Die von Heinrich Sybel vertretene These von einem „deutschen"
Einheitsbewußtsein fand erst - unter veränderten politischen Bedingungen - in
den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wieder eine stärkere Beachtung. Hein-
rich I. avancierte in dieser Perspektive zur GründerfigurP
Diese Auffassung war durchaus mit der Adelsherrschaftstheorie und ihrer
starken Hervorhebung der Kontinuität adliger Herrschaft auch über die Karolin-
gerzeit hinweg zu verknüpfen. Gerade die Adelsherrschaftstheorie legte die An-
nahme nahe, daß das Reich eine Gründung von Stämmen und deren Führern ge-
wesen sei. Dezidiert meinte etwa Theodor Mayer: „Stämme und Stammesherzog-
tümer waren vor dem Reich da, sie verdankten ihre politische und rechtliche Exi-
stenz nicht dem Reiche, sie wurden dem Reiche nur eingegliedert"P In einer deut-
schen Geschichte, die in germanischer Zeit begonnen haben soll, bildete die Grün-
dung des Reichs auf ethnischer Basis nicht nur eine wichtige Zäsur, sondern wur-
de letztlich sogar als eine historische Notwendigkeit betrachtet.
Begründbar war für die Vertreter dieser älteren Sichtweisen damit auch, daß
man von unterschiedlichen Entwicklungen im West- und im Ostfrankenreich nach
843 sprechen müsse. Dazu genügte der Hinweis, daß das Westreich stark von den
romanischen Traditionen geprägt gewesen sei, während sich das Ostreich aus
Stämmen der altgermanischen Zeit zusammengesetzt habek So sprach etwa Wal-
ter Schlesinger von grundlegenden Unterschieden zwischen galloromanischem
und germanischem Volkstum, „wozu auch die verschiedene Mischung des Blutes
gehört"?.

4.2. Die Relativierung der ethnischen Basis: Kontinuität der Reichs-
aristokratie
Neu entflammt ist die Diskussion als Folge der veränderten Einschätzung der
Rolle des Adels im Karolingerreich. Die personengeschichtlichen Arbeiten von
Gerd Tellenbach zeigten das Weiterleben der Reichsaristokratie; die Rolle des
4 Vgl. dazu HLAWITSCHKA, Frankenreich, S. 192f.
5 Th. MAYER, Fürsten, S. 233. Diese Auffassung fand sich i.ü. auch in der französischen Forschung; vgl.
etwa BOUTRUCHE, Seigneurie, Bd. 2, S. 256.
6 Vgl. MITTEIS, Vertrag, S. 91; vgl. heute noch HLAWITSCHKA, Frankenreich, S. 204.
7 SCHLESINGER, Arnulf, S. 238.
 
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