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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0309

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Die Struktur der adligen Familien: Von der Sippe zum Geschlecht

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Perspektive fällt ins Auge, daß diese Verbände instabil waren und keine „feste
Form" annahmen, die man mit Ffilfe rechtlicher Kriterien beschreiben könnte.
So spricht etwa Johannes Fried in seinem grundlegenden Werk auf der Basis
einer sozialanthropologisch geprägten Sicht von Verwandtschaftsgruppen, die
kaum durch rechtliche Kriterien konstituiert worden seien. Große amorphe
„Clans" hätten sich um einzelne Große gebildet; Clans oder Sippen seien durch
Besitz und Zusammengehörigkeitsgefühl geeint worden. Der Anteil am Eigengut
habe die Verwandtengruppen zusammengehalten und ebenfalls - wahrscheinlich
viel nachhaltiger als biologische Verwandtschaft oder Verschwägerung - zur Kon-
stituierung als Sippenverband beigetragen. Der Kampf um Besitzanteile und Kö-
nigsgut habe die Verbände wieder aufgesprengt. Ffinzu gehörte, an wen man sich
erinnerte". Die „Sippe" oder die durch Verwandtschaft bestimmte Großfamilie
erweise sich als ein „zeitlich und räumlich höchst divergierender Sozialverband"".
Als die Memoria seit dem 9. Jahrhundert Klöstern übertragen worden sei, habe
sich das adlige Geschlecht entwickelt.
Ähnlich hat Gerd Althoff von frühmittelalterlichen Verwandtschaftsgruppen
gesprochen". Sie seien durch Hilfsverpflichtungen charakterisiert und intentional
sehr weit gefaßt gewesen. Demzufolge betrachtete Althoff die „sogenannten Sip-
pen" eher als „Bewußtseinsphänomene" denn „als rechtlich fixierte Verbände"".
Stuart Airlie formulierte eine Ansicht, die in Grundzügen schon in einer Debatte
zwischen Leyser und Bullough zu fassen ist: „For some purposes, then, the aristo-
cratic family appears to have been a large kin; for others, a much smaller unit"A
Schließt man sich dieser Ansicht an, so kann der Terminus allenfalls in modifizier-
ter Form Verwendung finden. Der zunehmende Gebrauch des alternativen Be-
griffs „Clan" in der Forschung verweist auf eher sozialanthropologisch orientierte
Ansätze, doch steht für diesen Begriff eine theoretische Fundierung im Rahmen
der mittelalterlichen Geschichte noch aus.
Dies führte dazu, daß gerade der gegenwärtigen Forschung die Sippe als
Grundbegriff zum Problem geworden ist. Michael Mitterauer meint, man könne
auf den Begriff ganz verzichten. Die agnatische Sippe sei identisch mit dem „Ge-
schlecht", die cognatische Sippe solle durch den Begriff der Verwandtschaft ersetzt
werden, um zu verdeutlichen, daß es sich dabei eben nicht um einen genau um-
grenzten, zeitlich stabilen, rechtlich definierten und politisch handlungsfähigen
Verband gehandelt habe". Hans K. Schulze allerdings, der sich auch bei diesem

12 Vgl. FRIED, Formierung, S. 21f.
13 FRIED, Grundprobleme, S. 126.
14 Vgl. ALTHOFF, Verwandte, S. 31-55.
15 ALTHOFF, Verwandte, S. 55.
16 AlRLlE, Aristocracy, S. 441; vgl. S. 438^42. Vgl. dazu auch LEYSER, German Aristocracy; BULLOUGH,
Social Groupings; LEYSER, Maternal Kin.
17 Vgl. MITTERAUER, Patriarchat, S. 35
 
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