Die Struktur der adligen Familien: Von der Sippe zum Geschlecht
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Nachkommen der fränkischen, bayerischen und burgundischen Großen zusam-
mengesetzt, die nach dem Ende des Langobardenreichs von Karl dem Großen und
Ludwig dem Lrommen eingesetzt worden waren?**. Die Tatsache, daß man die
meisten hochmittelalterlichen Adelsfamilien genealogisch nicht weiter als bis ins
10. oder 11. Jahrhundert verfolgen könne, sei kein Indikator für eine soziale Um-
wälzung, sondern für einen Strukturwandel im Adel. Die Grundherren und Amts-
träger der karolingischen Zeit begannen nach Keller, begünstigt durch die Über-
tragung königlicher Rechte und durch die Verleihung von Kirchengut, mit dem
Aufbau eigener Herrschaften. Keller sah das Auftauchen der chätelains in Frank-
reich als eine parallele Erscheinung und verwies für die deutschen Verhältnisse
auf die Edelfreien. Die Entstehung von Bannherrschaften und Burgen sei nicht auf
äußere Bedrohungen, sondern auf immanente Probleme der karolingischen Herr-
schaftsorganisation zurückzuführen.
So geht man heute für das Westfrankenreich und für Italien davon aus, daß
man von der Kontinuität eines grundherrlichen Adels seit dem 9. Jahrhundert
sprechen kann. Diese unterschiedliche Einschätzung beruht auch auf einer ande-
ren Behandlung einer grundsätzlichen Problematik. Das noch von Bloch, analog
zur älteren Forschung, sehr stark hervorgehobene Kriterium des rechtlichen Ab-
schlusses mußte in einer Perspektive, in der es um die biologische Kontinuität von
Familien ging, natürlich gravierend an Bedeutung verlieren. Das Blut, die Ab-
stammung, mache den Adel, betonten etwa Flori oder Genicot, nicht, wie Bloch
noch geglaubt habe, der Besitz eines LehensA Die neuere Forschung definiert Adel
also nicht als Rechtsstand, sondern als eine Qualität, die man wegen der Vorfahren
von Geburt an besitzt; unterschiedliche Ansichten werden allerdings darüber ver-
treten, ob das Kriterium „Teilhabe an der Herrschaft" zur Adelsdefinition hinzu-
genommen werden sollte?*'.
Die Methode personengeschichtlicher Forschungen allerdings hat ihre Tücken.
Schon in den frühen Untersuchungen ist dies deutlich geworden. So gelangte Jo-
seph Sturm bei seiner Arbeit über die Anfänge des Hauses Preysing unversehens
zu einer Frühgeschichte eines großen Teils des gesamten frühen bayerischen
Adels, da sich umfassende Hypothesen anboten, wenn man erst einmal darauf
verzichtete, die genauen Abstammungsverhältnisse zu rekonstruieren. Die am
weitesten gehenden Hypothesensysteme hat Reinhard Wenskus in seiner bedeu-
tenden Studie über die Beziehungen zwischen dem fränkischen Reichsadel und
dem sächsischen Stammesadel konstruiert. Wenskus' Abhandlung diente u.a. dem
Zweck, die Eingliederung der Sachsen in das fränkische Reich zu beschreiben. Die
Auswertung des Namenmaterials führte dann allerdings zu einer umfassenden
74 Vgl. HLAWITSCHKA, Franken.
75 FLORI, L'essor, S. 35-41; GENICOT; L'economie, Bd. 2; DERS., Les recherches, S. 54-57. Vgl. auch MAR-
TINDALE, French Aristocracy, S. 16; BARTHELEMY, Castles, S. 59.
76 Vgl. K.F. WERNER, Adel, in: LexMA 1, 1980, Sp. 119; GOETZ, Typus, S. 133; FLORI, L'essor, S. 27.
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Nachkommen der fränkischen, bayerischen und burgundischen Großen zusam-
mengesetzt, die nach dem Ende des Langobardenreichs von Karl dem Großen und
Ludwig dem Lrommen eingesetzt worden waren?**. Die Tatsache, daß man die
meisten hochmittelalterlichen Adelsfamilien genealogisch nicht weiter als bis ins
10. oder 11. Jahrhundert verfolgen könne, sei kein Indikator für eine soziale Um-
wälzung, sondern für einen Strukturwandel im Adel. Die Grundherren und Amts-
träger der karolingischen Zeit begannen nach Keller, begünstigt durch die Über-
tragung königlicher Rechte und durch die Verleihung von Kirchengut, mit dem
Aufbau eigener Herrschaften. Keller sah das Auftauchen der chätelains in Frank-
reich als eine parallele Erscheinung und verwies für die deutschen Verhältnisse
auf die Edelfreien. Die Entstehung von Bannherrschaften und Burgen sei nicht auf
äußere Bedrohungen, sondern auf immanente Probleme der karolingischen Herr-
schaftsorganisation zurückzuführen.
So geht man heute für das Westfrankenreich und für Italien davon aus, daß
man von der Kontinuität eines grundherrlichen Adels seit dem 9. Jahrhundert
sprechen kann. Diese unterschiedliche Einschätzung beruht auch auf einer ande-
ren Behandlung einer grundsätzlichen Problematik. Das noch von Bloch, analog
zur älteren Forschung, sehr stark hervorgehobene Kriterium des rechtlichen Ab-
schlusses mußte in einer Perspektive, in der es um die biologische Kontinuität von
Familien ging, natürlich gravierend an Bedeutung verlieren. Das Blut, die Ab-
stammung, mache den Adel, betonten etwa Flori oder Genicot, nicht, wie Bloch
noch geglaubt habe, der Besitz eines LehensA Die neuere Forschung definiert Adel
also nicht als Rechtsstand, sondern als eine Qualität, die man wegen der Vorfahren
von Geburt an besitzt; unterschiedliche Ansichten werden allerdings darüber ver-
treten, ob das Kriterium „Teilhabe an der Herrschaft" zur Adelsdefinition hinzu-
genommen werden sollte?*'.
Die Methode personengeschichtlicher Forschungen allerdings hat ihre Tücken.
Schon in den frühen Untersuchungen ist dies deutlich geworden. So gelangte Jo-
seph Sturm bei seiner Arbeit über die Anfänge des Hauses Preysing unversehens
zu einer Frühgeschichte eines großen Teils des gesamten frühen bayerischen
Adels, da sich umfassende Hypothesen anboten, wenn man erst einmal darauf
verzichtete, die genauen Abstammungsverhältnisse zu rekonstruieren. Die am
weitesten gehenden Hypothesensysteme hat Reinhard Wenskus in seiner bedeu-
tenden Studie über die Beziehungen zwischen dem fränkischen Reichsadel und
dem sächsischen Stammesadel konstruiert. Wenskus' Abhandlung diente u.a. dem
Zweck, die Eingliederung der Sachsen in das fränkische Reich zu beschreiben. Die
Auswertung des Namenmaterials führte dann allerdings zu einer umfassenden
74 Vgl. HLAWITSCHKA, Franken.
75 FLORI, L'essor, S. 35-41; GENICOT; L'economie, Bd. 2; DERS., Les recherches, S. 54-57. Vgl. auch MAR-
TINDALE, French Aristocracy, S. 16; BARTHELEMY, Castles, S. 59.
76 Vgl. K.F. WERNER, Adel, in: LexMA 1, 1980, Sp. 119; GOETZ, Typus, S. 133; FLORI, L'essor, S. 27.