Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0459

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das Spätmittelalter - Die Ausprägung sozialer und politischer Stände

455

deren profiliertester Verfechter Georg von Below war. Für Below war das Gra-
fenamt der fränkischen Zeit mit der Gerichtsgewalt zentral für den Aufbau der
spätmittelalterlichen Landesherrschaft.
In diesem Geschichtsbild mußte die deutsche Entwicklung im Vergleich mit
den westlichen Nationalstaaten natürlich als „Sonderweg" erscheinen; die deut-
sche Geschichte war demnach geprägt durch den Verlust von Staatlichkeit auf der
Reichsebene. Für Historiker des 19. Jahrhunderts war dies ein höchst unerfreuli-
cher Prozeß, für den Gründe und auch Verantwortliche gesucht werden mußten.
Daß in erster Linie die Eigensüchtigkeit der Fürsten als Ursache genannt wurde,
liegt auf der Hand. Nicht zuletzt durch diese Wertung gerieten die Anfänge der
deutschen Landesgeschichte und die Ausläufer einer deutschen Dynastiege-
schichtsschreibung zunächst unter den Verdacht, die Interessen des „Partikula-
rismus" zu vertreten. Erst vor diesem Kontext gewinnen auch die Diskussionen
um die Rolle der Italienpolitik, die die deutsche Mediävistik nicht erst seit der
Sybel-Ficker-Kontroverse beschäftigten, ihren Sinn: Geklärt werden sollte, wo-
durch die Macht der deutschen Herrscher so geschwächt wurde, daß sie den Inte-
ressen der eigensüchtigen Fürsten nicht mehr Herr werden konnten. Kaum zufäl-
lig hat Georg von Below als Letzter noch einmal ausdrücklich Heinrich von Sybels
Interpretation der Italienpolitik als Hauptgrund für diese verhängnisvolle Ent-
wicklung ins Spiel gebracht^.
Aufgegeben wurde diese Einschätzung mit der Abkehr von der älteren Sicht
des „Staates", in dem man zwischen öffentlicher und privater Herrschaft unter-
scheiden könne. Dies war in erster Linie die Folge des Ansatzes von Otto Brunner,
der nicht nur die terminologischen Probleme der älteren Sicht scharf kritisierte,
sondern auch eine Alternative bot-L Für Brunner war das „Land" ein Schlüssel-
begriff. Er verstand darunter eine Genossenschaft, einen Personenverband von
fehdeberechtigten (adligen) Grundherren, die ein gemeinsames Recht anerkann-
ten. Damit wurde insbesondere die Rolle des Landesherrn relativiert und die Kon-
tinuität zum Hochmittelalter hervorgehoben. Brunner interessierte sich für die
Entwicklung vom genossenschaftlichen Miteinanderhandeln, wie es auf dem
Landtaiding, der Gerichtsversammlung des Hochmittelalters, zum Ausdruck ge-
kommen sei, zum Entstehen des Dualismus zwischen Landschaft und Landes-
herrn.
Eine Geschichte der Rezeption Brunners ist noch nicht geschrieben worden; sie
wäre nicht zuletzt die Geschichte von Mißverständnissen, an denen die mehrfa-
chen Änderungen in Brunners Hauptwerk „Land und Herrschaft" nicht ganz
unschuldig sind. Obwohl das Buch schnell zu einem modernen Klassiker der Me-

(LAMPRECHT, Wirtschaftsleben I 2, S. 668f). Das platte Land erzeugte „in der Grundherrschaft den
Embryo des heutigen Staates" (S. 669).
23 Vgl. BELOW, Kaiserpolitik; E)ERS., Staat, S. 356.
24 Vgl. O. BRUNNER, Land.
 
Annotationen