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Kapitel 5
henden Grafschaftsverfassung in Bayern sei im 11. Jahrhundert ein Netz neuer, dy-
nastischer Herrschaften entstanden, die auf AHodialbesitz und auf der Vogtei über
Kirchengüter samt der damit verbundenen niederen Gerichtsbarkeit beruhten. Alois
Schmid stellte fest, daß es im Bayern des 12. Jahrhunderts keine flächendeckenden
Herrschaftsbezirke mehr gegeben habe, sondern „von Burgen aus schwerpunktmä-
ßig erfaßte Herrschaftsbereiche, deren Erstreckung höchstens andeutungsweise über
die Bestimmung der Wirksamkeit dieser Herrschaft zu ermitteln ist"A Für die Graf-
schaft sei demnach nicht der Raum konstitutiv gewesen, sondern die Herrschaft.
Richard Loibl hat davon gesprochen, daß neue Hochgerichtsbarkeitsbezirke ent-
standen waren, die vornehmlich auf Vogtei- und grundherrschaftlichen Bezirken
beruhten. Zwar wollte Loibl die Kontinuität zu alten Komitaten oder deren Teilen
nicht ausschließen, meinte aber doch, daß andere Herrschaftsrechte bei der Territo-
rialisierung wichtiger gewesen seien, wenngleich bei alten Geschlechtern am Anfang
der Herrschaftsbildung nicht selten die Verleihung von Grafenrechten gestanden
haben mochteA Verändert hat sich in der neueren Forschung also die Gewichtung:
Als zentral erscheint nicht mehr die Kontinuität von Rechten - obwohl diese wie-
derum nicht völlig ausgeschlossen wird -, entscheidend ist in dieser Perspektive die
biologische Kontinuität adliger Familien.
Geändert hat sich mit dieser Neueinschätzung auch die Frage nach der Bedeu-
tung der königlichen Bannleihe als Voraussetzung für die Ausübung der Hoch-
vogtei. Der Anspruch der Könige auf die Bannleihe erschien der älteren Forschung
als ein Resultat der ursprünglichen Verhältnisse, wonach der König die Vögte in
seinen Eigen- oder Schutzkirchen einsetzte. Als sich die Vogtei von der niederen
Gerichtsbarkeit zur hohen entwickelte, sei sie vom Herrscher den Adligen zuge-
standen und mit der Bannleihe verknüpft worden. Schließlich sei die Vogtei erb-
lich geworden, und die Bannleihe habe an Bedeutung verlorenA Heute dagegen
erscheint die Bannleihe als ein Recht, das seine Bedeutung erst allmählich seit
ottonischer Zeit gewann, im wesentlichen aber erst im Zuge der Kirchenreform
wichtig wurde. Sie habe nicht zuletzt der Eingliederung von Adelsgründungen
gedient und sei faktisch nie ganz durchgesetzt wordenA
Man sollte berücksichtigen, daß der Bedeutungsgewinn der Vogtei für die Ent-
stehung adliger Herrschaften durchaus auch in der älteren Literatur Berücksichti-
gung fand. Der Prozeß war selbst in der Terminologie Georg von Belows zu be-
schreiben. Below setzte explizit Immunitätsherren und Grafen auf eine Stufe, da es
ihm vor allem um die gleichartige rechtliche Qualität ging. Aus diesem Grund
fanden sogar die Untersuchungen von Hans Hirsch teilweise seinen BeifallA Dies
25 A. SCHMID, Comes, S. 210f.
26 LoiBL, Grafen, S. 247-253.
27 Vgl. SCHRÖDER/KÜNSSBERG, Rechtsgeschichte, S. 215, 615.
28 Vgl. HOLZFURTNER, Grafschaft, S. 343; KRAUS, Reformideal.
29 Vgl. BELOW, Territorium, S. 47-52.
Kapitel 5
henden Grafschaftsverfassung in Bayern sei im 11. Jahrhundert ein Netz neuer, dy-
nastischer Herrschaften entstanden, die auf AHodialbesitz und auf der Vogtei über
Kirchengüter samt der damit verbundenen niederen Gerichtsbarkeit beruhten. Alois
Schmid stellte fest, daß es im Bayern des 12. Jahrhunderts keine flächendeckenden
Herrschaftsbezirke mehr gegeben habe, sondern „von Burgen aus schwerpunktmä-
ßig erfaßte Herrschaftsbereiche, deren Erstreckung höchstens andeutungsweise über
die Bestimmung der Wirksamkeit dieser Herrschaft zu ermitteln ist"A Für die Graf-
schaft sei demnach nicht der Raum konstitutiv gewesen, sondern die Herrschaft.
Richard Loibl hat davon gesprochen, daß neue Hochgerichtsbarkeitsbezirke ent-
standen waren, die vornehmlich auf Vogtei- und grundherrschaftlichen Bezirken
beruhten. Zwar wollte Loibl die Kontinuität zu alten Komitaten oder deren Teilen
nicht ausschließen, meinte aber doch, daß andere Herrschaftsrechte bei der Territo-
rialisierung wichtiger gewesen seien, wenngleich bei alten Geschlechtern am Anfang
der Herrschaftsbildung nicht selten die Verleihung von Grafenrechten gestanden
haben mochteA Verändert hat sich in der neueren Forschung also die Gewichtung:
Als zentral erscheint nicht mehr die Kontinuität von Rechten - obwohl diese wie-
derum nicht völlig ausgeschlossen wird -, entscheidend ist in dieser Perspektive die
biologische Kontinuität adliger Familien.
Geändert hat sich mit dieser Neueinschätzung auch die Frage nach der Bedeu-
tung der königlichen Bannleihe als Voraussetzung für die Ausübung der Hoch-
vogtei. Der Anspruch der Könige auf die Bannleihe erschien der älteren Forschung
als ein Resultat der ursprünglichen Verhältnisse, wonach der König die Vögte in
seinen Eigen- oder Schutzkirchen einsetzte. Als sich die Vogtei von der niederen
Gerichtsbarkeit zur hohen entwickelte, sei sie vom Herrscher den Adligen zuge-
standen und mit der Bannleihe verknüpft worden. Schließlich sei die Vogtei erb-
lich geworden, und die Bannleihe habe an Bedeutung verlorenA Heute dagegen
erscheint die Bannleihe als ein Recht, das seine Bedeutung erst allmählich seit
ottonischer Zeit gewann, im wesentlichen aber erst im Zuge der Kirchenreform
wichtig wurde. Sie habe nicht zuletzt der Eingliederung von Adelsgründungen
gedient und sei faktisch nie ganz durchgesetzt wordenA
Man sollte berücksichtigen, daß der Bedeutungsgewinn der Vogtei für die Ent-
stehung adliger Herrschaften durchaus auch in der älteren Literatur Berücksichti-
gung fand. Der Prozeß war selbst in der Terminologie Georg von Belows zu be-
schreiben. Below setzte explizit Immunitätsherren und Grafen auf eine Stufe, da es
ihm vor allem um die gleichartige rechtliche Qualität ging. Aus diesem Grund
fanden sogar die Untersuchungen von Hans Hirsch teilweise seinen BeifallA Dies
25 A. SCHMID, Comes, S. 210f.
26 LoiBL, Grafen, S. 247-253.
27 Vgl. SCHRÖDER/KÜNSSBERG, Rechtsgeschichte, S. 215, 615.
28 Vgl. HOLZFURTNER, Grafschaft, S. 343; KRAUS, Reformideal.
29 Vgl. BELOW, Territorium, S. 47-52.