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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Bibliographische Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0041

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26

Genie dem Verständnis des gebildeten Laien näher
zu bringen vermochte. Mereschkowski hat sich der
schweren Aufgabe unterzogen, diese empfindsame
Lücke in der Renaissance-Literatur auszufüllen, und
die Art, wie er dies im vorliegenden kulturhistori-
schen Roman gethan, sichert ihm den Dank aller
Derer, die ihr Interesse jener an schöpferischen
Geistern so überreichen Epoche der italienischen
Renaissance zugewandt haben. Wenn man auch
nur im allgemeinen über das Leben, Schaffen und
Streben Leonardos und über seine Zeit und Um-
gebung unterrichtet ist, so kann man sich ungefähr
ein Bild sowohl von der Bedeutsamkeit des Vor-
wurfs, den sich Mereschkowski gewählt, als auch
von der ungemeinen Schwierigkeit der künstlerischen
Gestaltung desselben machen. Ein feinsinniger
Kenner Leonardos und seiner Zeit sagte von diesem
Buch, es sei die beste Arbeit, die über diesen
Renaissance-Riesen je geschrieben wurde. Meines
Erachtens ist es sogar mehr, denn es bietet uns
nicht nur die Biographie Leonardos als Künstler,
Forscher und Mensch, sondern es malt uns auch
in ungeheurem Farbenreichtum, jene gährende und
vielgestaltige, an Ereignissen und grossen Thaten
reiche Zeit, in welcher dieser aussergewöhnliche
Mann lebte. Mit durchdringendem, unbefangenem
Blick ist hier alles gesehen, selbst die für den ober-
flächlichen Beobachter unbedeutenden Züge sind
aus der Fülle der Erscheinungen herausgeholt und
wirksam für die Gestaltung des Hintergrundes ver-
wertet, von dem sich die Gestalt Leonardos mit
schärfster Deutlichkeit abhebt. Nur ein absoluter
Beherrscher schriftstellerischer Darstellungskunst
konnte dieses Buch ins Leben rufen, das seinem
Autor eine den bedeutendsten Erzählern ebenbürtige
Stellung anweist. Dr. p.
Michelangelo und das Ende der Renaissance.
Von Henry Thode. I. Band. G. Grotesche Ver-
lagsbuchhandlung, Berlin, 1902. Preis: brochiert
Mk. 9.—, geb. Mk. 11.—.
Ein bedeutendes Werk’ Bedeutend nicht allein
um des reichen wissenschaftlichen Gehaltes willen,
welcher es zu einer wertvollen Ergänzung der
Michelangelo-Literatur stempelt, sondern — und
mehr noch — des Standpunktes halber, von dem
aus es geschrieben. Wesentlich von der bisherigen
Auffassung der Fachästhetiker abweichend, zeigt
uns der Verfasser in diesem Werke eine neue Art
der Aesthetik, eine neue Art der Kritik. Unter
demVorwand, ein Stück Kunstgeschichte zum Besten
zu geben, erzählt er uns ein Kapitel aus der Ge-
schichte der Menschheit. Und das zugrunde liegende
Motiv, auf das sich alles aufbaut, das bald in
schwellenden, bald in sinkenden Akkorden wie
Harfenklang diese Renaissancetragödie durchrauscht,
ist — die Liebe. Aus einer grenzenlosen Liebe
heraus ist jeder Gedanke, jedes Wort gesprochen.
Ja man hat manchmal die Empfindung, als ob Thode
von einem Freunde, einem sehr teuren Freunde
rede. Und warum auch nicht? Soll Freundschaft
sich nur auf die Gegenwart beschränken? Von
einem Abschnitt zum andern zieht sich die Frage:
Wurde Michelangelo geliebt? Und die Antwort, die
die Geschichte gibt, wird in Thodes Munde zur
flammenden Anklage, zur Anklage wider Fürsten
und Päpste, wider die Menschheit. „Durch Jahr-
hunderte hindurch gefeiert und bewundert, in zahl-
reichen Lebensbeschreibungen verherrlicht, blieb
Michelangelo, wie zu einem unnahbaren Idol ge-
worden, als Mensch den Meisten unbekannt und
ungeliebt.“ Diese Scharte auszuwetzen, hat sich

der Verfasser zur Aufgabe gemacht. Er geht darin
weit, weiter als Vasari, der ihn vergötterte, — er
vermenschlicht ihn. Thodes „Michelangelo“ ist
keine Verherrlichung der berühmten Persönlichkeit,
keine Rettung im banalen Sinne lobhudelnder Bio-
graphen, er ist nur die wahrheitsgemässe Darstellung
der Passionsgeschichte eines Genies. Wir gewinnen
über Michelangelo hinweg einen Einblick in das
Wesen des Genies überhaupt. „Das Genie und die
Welt“ ist der dramatische Konflikt, von welchem
der erste Band handelt. Aber über der allgemeinen
Betrachtung des leidenden, streitenden Künstler-
geistes werden wir keinen Augenblick von der
Gestalt des Meisters abgezogen. Es ist speziell
Michelangelo, den wir kennen und verstehen lernen,
Michelangelo bis in die tiefsten, zartesten Saiten
seines Wesens hinein. Dem oberflächlich Lesen-
den mag vielleicht manches wie Beschönigung er-
scheinen, weil so gar nicht „geschimpft“ wird.
Michelangelo hatte doch auch seine Fehler, kann
man sagen, und er ist gross genug, ihren Vorwurf
zu ertragen. Aber hier ist, wie gesagt, ein andrer
Standpunkt vertreten. Jenseits von gut und böse
findet alles seine Erklärung und seinen Zusammen-
hang. Michelangelo, der ewig Unverstandene, der
Angefeindete, der mit sich selbst Unzufriedene,
ewig ringend mit sich und der Welt, gequält und
genarrt von hohen Auftraggebern, ewig suchend,
und selbst an seinem masslosen Können kein
Genügen findend — sind es nicht zerrissne Akkorde?
Und dennoch fanden sie sich zusammen zu einer
herrlichen Harmonie, in die nur eine Dissonanz
hineinklingt: Ihr habt ihn nicht genug geliebt! Der
Mitwelt, der Nachwelt gilt der Vorwurf. Er hat
euch mehr gegeben als ihr ihm, er, den ihr lieblos,
geizig, hochmütig nanntet, er hat euch geliebt! —
Eine Messiade.
In die mit so überaus zarter Empfindung und
liebevollster Hingabe geschaffenen Betrachtungen
fügt sich der biographische Teil ergänzend ein. Ein
ungeheures Material von Briefen und Gedichten
des Meisters (in meisterhafter Uebersetzung des
Verfassers) liess das Werk zu einem ziemlich um-
fangreichen anschwellen. Einige Wiederholungen,
wie die doppelte Anführung von Briefen u. a„ hätten
vielleicht vermieden werden können. Von besonderem
Interesse für die spezielle Michelangeloforschung
sind die sehr ausführlich behandelten Annalen. Alles
in allem ein wertvolles, bedeutendes Werk! M. e.
Die Darstellungen des Fra Giovanni Angelico
aus dem Leben Christi und Mariae. Von
Walter Rothes. Mit 12 Lichtdrucktafeln. J. H.
Ed. Heitz, Strassburg. Preis Mk. 6.—.
Mit der Herausgabe dieses Werkchens eröffnet
der strebsame Verlag der „Studien zur deutschen
Kunstgeschichte“ eine neue Serie von kunst-
geschichtlichen Abhandlungen unter dem Titel
„Zur Kunstgeschichte des Auslandes“. Das
vorliegende Heft ist eine ikonographische Studie.
Neben dem engen Anschluss an Thodes „Franz
v. Assisi“ — der Verfasser ist Thodeschüler —
enthält die Arbeit auch allerlei eignes, selbständig
Beobachtetes. Bemerkenswert ist der Hinweis auf
das Germanische in der Kunst des Fra Angelico.
Der Frage liesse sich wohl noch näher treten, viel-
leicht nicht einzig vom stilkritischen, sondern vom
anthropologischen Standpunkt. Germanische Ele-
mente sind in Toskana, wie erst kürzlich Heyck
(Mon. z. Weltgesch. Florenz u. d. Mediceer) fest-
gestellt hat, nachweisbar. Die kurzgefasste Studie
bietet somit Anregung zu weiterer Forschung.
 
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