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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Escherich, Mela: Dürers Beziehungen zu gotischen Stechern
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0314

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buchmeisters, die schlanken Jünglingsgestalten,
das schöne Lockengeringei, eine gewisse modische
Flottheit der Auffassung, so sagte er sich nun davon
los und behielt nur das, was ihm für seine weitere
Entwicklung wichtig schien. So interessierte ihn
jetzt ein Kopf, vielleicht der einzige, auf dem der
sonst mehr geistreiche Stecher nach Verinnerlichung
strebte, — der Kopf Johannes des Täufers auf dem Teller
liegend. Man vergleiche Dürers hl. Joseph in dem
frühen Kupferstich „Die hl. Familie auf der Rasenbank“.
Aber nun lässt es der Meister nicht bei einer
blossen Verwendung bestehen, sondern er sucht
den Einfluss in seine eigene Individualität umzu-
werten. So entsteht jener markige Typus, wie wir
ihn auf verschiedenen Passionsbildern finden, so
der rechts liegende Wächter auf der Auferstehung
der grossen Passion (1510), der Verdammte in der
Mitte vorn auf dem „Christus in der Vorhölle“ aus
der Kupferstichpassion (1512) und verschiedene
andere. Noch später, etwa 1515, taucht der Kopf
in der erst neuerdings Dürer zugewiesenen Hand-
zeichnung zur „Entführung“ (1516) auf. (G. Pauli,
Z. f. b. K. Bd. XI. 1900.) Das interessante Blatt
(Sammlung Lanna, Prag) zeigt deutlich das Motiv
des Johanneshauptes. Der Mund ist geschlossen,
die Augen abwärts gerichtet. Auf der Radierung
(B. 72) ist der Kopf wie manches andere der Zeich-
nung bereits ganz selbständig umgemodelt.
Auf dem Dreifaltigkeitsholzschnitt von 1511 gibt
Dürer dem Christus etwas von diesem Typus. Wenn
man aber neben diesem das Johanneshaupt des
Hausbuchmeisters betrachtet, kommt einem aller-
dings der ganze mächtige Unterschied zweier Epochen
zum Bewusstsein. Hier eine „versuchsweise“ nach
Innerlichkeit strebende aber doch nur mehr mit
Gefühl geistreichelnde Kunst eines entmarkten Stiles,
dort die tiefe Empfindung und überzeugende Kraft
eines grossen Meisters, der aber auch in einer
künslerisch grossen Zeit lebt.
An dieser Stelle möchte ich noch auf eine
Skizze Lukas Kranach d. ä verweisen. Es ist, in
Wasserfarben ausgeführt, ein Kopf des hl. Christo-
phorus (Weimar, Museum) nach Woermann wahr-
scheinlich 1505 als Studie zu dem Christophorus
des Torgauer 14 Nothelferbildes entstanden.
Dieser Kopf erinnert lebhaft an den Johannes-
kopf des Hausbuchmeisters, besonders in der Zeich-
nung der Augen und des Mundes. Letzterer ist
geschlossen, während er auf dem Stich des Haus-
buchmeisters leicht geöffnet ist. Seltsamerweise

bringt auch Dürer diesen Mund, wie bei dem oben-
genannten Joseph, Christus und Entführer, vielfach
geschlossen (bei dem Grabeswächter weit geöffnet,
aber abweichend in der Form.) Wenn, wie Gurlitt
feststellt, Dürer 1502 oder 03 in Wittenberg arbeitete,
so liessen sich daran wohl Vermutungen schliessen.
Kranach ist erst seit 1504 in Wittenberg nachweisbar.
Dennoch wäre es nicht unmöglich, dass er schon
früher dort gewesen und zu Dürer in Beziehung
getreten. Andererseits liesse sich wohl denken,
dass Jacopo de Barbari, welcher sich 1503—05 in
kursächsischen Diensten, 1504 aber dazwischen in
Nürnberg befand, Zeichnungen und Stiche Dürers
in die Kranach’sche Werkstatt und umgekehrt
Arbeiten Kranachs nach Nürnberg brachte. Viel-
leicht verirrten sich auch so Blätter des Hausbuch-
meisters nach dem deutschen Norden. Es geht
über den Rahmen dieser Studie, die künstlerischen
Beziehungen Dürer—Kranachs, welche zweifellos
bestehen, hier näher zu betrachten.
Bei dem Christophorus ist Haar und Bart
selbständig ausgeführt, ganz verschieden von der
mehr stilisierten Art des Hausbuchmeisters. Die
Nase zeigt in ihrer liegenden Stellung von unten
gesehen jene eigentümliche Birnenform, welche sich
auf dem obengenannten Dürertypus wiederfindet.
Auf dem Torgauer Gemälde (nach Friedländer von
1507) hat Kranach die Skizze bereits in seine eigene
Art umgewertet.
Als „Umwertung“ möchte ich auch Dürers
Brustbild einer Tiroler Bäuerin von 1505 (Galerie
Seymour, London; Lippmann Nr. 408) nennen. Es
ist wohl auf der Reise nach Italien entstanden und
zeigt Dürer im Kampf mit der Manier des gotischen
Stechers und den neuen italienischen Eindrücken.
So sehen wir den Einfluss der deutschen Kunst
mächtig in Dürer gähren und wirken. Als Lehrling
müht er sich getreu, mit dem von ihm hoch-
geschätzten Vorbild ab; als reisender Künstler sucht
er die so gewonnenen Erfahrungen mit der neuen
Zeit und der eigenen Individualität in Einklang zu
bringen; dann aber als überden bereits zur vollen
Meisterschaft gelangten die italienischen Eindrücke,
das hohe Schönheitsgefühl und vollendete Stil-
bewusstsein einer vorgeschritteneren Kultur herein-
stürmen, sehen wir ihn auch da noch die alten
deutschen Traditionen hochhalten und obgleich
sein Herz in der fremden Schöne und Grösse auf-
jauchzt, doch ernst und treu Wort gegen Wort,
fremdes gegen eigenes abwägen.
 
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