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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Landau, Paul: Emile Zola und die französische Kunstkritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0338

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268

„Fort mit den Niedlichkeiten, den Puppengesichtern“,
so wandten sie sich gegen die Schäfereien des
Rokokos und die koketten Geschichtchen der Genre-
malerei. Diderot, der wohl gegen Boucher als einen
Sittenverderber wetterte, „hat sich doch seiner
Zauberkunst gebeugt“. Er hat Chardin, den Farben-
symphoniker, der seine valeurs schon so fein gegen-
einander abwog, ermutigt und gepriesen. Wolken-
schatten und helle Luft, die Nüancen eines Grüns
und die rötlichen Dämmerungen — ja auch das
Licht, das alles hat Diderot angebetet und verehrt
mit dem lebendigen Feuer eines bis ins Tiefste Be-
geisterten. „Geh in die Schenke und sieh auf die
Leute, zieh hinaus aufs Land, fort mit der Glieder-
puppe!“ hat er den Malern zugerufen. Mag er
auch in seiner Kunsttheorie die reine Nachahmung der
Natur allzu sehr betont haben in einer Zeit völliger
Naturentfremdung, im Grunde stand er, selbst eine
so kräftige besondre Erscheinung, Goethe nicht so
fern, der gegen ihn in seinen „Anmerkungen zu
Diderots Versuch über die Malerei“ das Recht der
Persönlichkeit verteidigte. War es doch der sichere
und kerngesunde Geschmack eines impulsiven und
wundervollen Menschen, der sich ausdrückte in
diesen lebhaften Beschreibungen, diesen heftigen
Angriffen und überschwänglichen Lobesergüssen.
Und die Persönlichkeit ist es auch, die Zolas Auf-
sätze so wertvoll macht. Das ist wieder ein Mensch,
der im Innersten aufgeregt die Sache der Kunst
zu seiner eigenen machte, als Anwalt der beleidigten
Schönheit, des niedergetretenen Genius auftrat und
mit dem stolzen Selbstbewusstsein der eigenen Kraft
sein Urteil in die Welt hinausschrie, hinausjubelte,
sollte er auch dabei untergehen.
Auch der junge Gautier hatte im heiligen Eifer
seiner Jugend, in seiner ungestümen Begeisterung
für Delacroix einst erklärt, er könnte Delaroche
mit Wohlgefallen roh zum Frühstück verzehren,
aber bald ward er der arme müde Theo, der unter
der Last der Tagesschriftstellerei mühselig daher-
schritt. Er hatte die Gabe, ein Kunstwerk, das
seinen wilden und schönheitstrunkenen Sinnen
behagte, mit wundervoller Pracht in dem Glanz
seiner Worte zu spiegeln. Zum Tadeln, zum
Verurteilen, zum Kämpfen war es nicht gemacht.
Er schuf die „critique plastique“, die leidenschafts-
lose Beschreibung; er schwelgte in erlesenen Satz-
gefügen, in den ausgesuchtesten Adjektiven, um die
schwere Wucht des Michelangelo, die rauhe und
erhabene Grösse des Ribeira, die leidenschaftliche
Glut des Delacroix zu schildern.
Der Wortschatz der vergangenen Jahrhunderte
war vor ihm aufgetan, doch die Bilder Courbets
und Manets boten keine Gelegenheit, sie wie die
historischen Gemälde mit den Juwelen der alten
Sprache auszuzieren. Die groteske Hässlichkeit
und die Furie Goyas mochten ihn mit Beaudelaire
begeistern, wie Beaudelaire auch noch entzückt war
von der eleganten, überfeinerten, mondänen Verve
in den modernen Schilderungen des Guys; bei
Manet war nichts Pikantes, keine leidenschaftliche
Enthüllung seelischer Abgründe, nur Einfachheit
und Ruhe, während die Romantiker schweren
Schmuck, bizarre Künstlichkeit und heisse Beweg-

lichkeit liebten. Und auch die grossen Schüler
Gautiers, die Goncourts, sie waren doch in ihrer
Kunstkritik nur Beschreiber, Schilderer von einer
höchsten und unbeschreiblichen Feinheit, Beherrscher
des Worts, nicht nur Jongleure und Spieler mit
eigenen Gefühlen, sondern feinste Nachempfinder
und Allumfasser im weiten Bereich der Stile. Sie
schufen die „ecriture artiste“, die an Glanz und
Lebendigkeit die „critique plastique“ überstrahlt
wie ein Bild von Degas eine Statue des Michelangelo.
Sie hatten das Verständnis des Liebhabers und
Sammlers, und zugleich den historischen Blick des
Geschichtsschreibers. Neben ihnen standen auf
die grossen Bilderbeschreiber und Bilderkenner
Bürger—Thore und später Fromentin, neben ihnen,
den scharfen Blick auf die Kulturzusammenhänge
gerichtet, Taine, mit Stendhal und Gautier der
dritte grosse Reisende der französischen Kunst-
geschichte. Die Goncourts aber verfolgten auch
mit ruhigem, liebevollem Auge die Kunst ihrer Zeit,
ihres Landes. In „Manette Salomon“ haben sie
alle Richtungen und Strömungen der französischen
Malerei um die Mitte des Jahrhunderts zusammen-
gefasst. Coriolis, der Held des Romans, hat die
glühenden Farben des Orients in seine Bilder ge-
bannt, wie Decamps und Fromentin, hat alle die
majestätischen Schönheiten, die idyllischen Wunder
der Waldeinsamkeit empfunden wie Th. Rousseau
und Corot, ja er hat die wirre Unruhe, das grosse
Leben eines Gerichtssaales gestaltet. Wie ein älterer,
freundlich ratender, leise ermutigender Freund,
scheint es, haben die Goncourts den Entwicklungs-
gang Manets begleitet. Stärkend sind sie neben
ihm hergeschritten, haben das Gleiche ausgesprochen,
was er gefühlt, die lichten, fein abgestimmten Farben-
wirkungen des Rokoko, die sichere, so geschmack-
volle Kunst Watteaus haben sie gepriesen, das reine
Evangelium des l’art pour l’art. Und dann ver-
kündeten sie in „Manette Salomon“ den Hymnus
auf das moderne Leben, auf die schwarzen Röcke,
auf die moderne Frau. Gautier hatte noch die
Venus von Milo der Pariserin vorgezogen, nun war
auch der malerische Geschmack dem dichterischen
Balzacs gefolgt. Im „Gavarni“ schilderten die
Goncourts das unendliche, bewegte, reiche Leben
der Pariser Strassen fast homerisch, das Manet zu-
erst in der „Musik in den Tuilerien“ dargestellt
hatte. In seinen Büchern über die Japaner hat
Edmond all die Feinheiten der Raumverteilung be-
schrieben, die uns Manet wieder gelehrt. — Und
doch nennt man nicht die Goncourts neben Manet,
sondern Zola, der ihm so ungleich war in dem
Ungestüm des Temperaments, in der Robustheit
des Empfindens. Die Goncourts, die Verächter der
Menge, die leise sprechenden, zart auftretenden
Aestheten, sie waren zu schwach, um durch-
zudringen, sie standen auch Manet zu nah, um ihn
objektiv betrachten zu können.
Nein! Da trat einer auf den Plan, der ein guter
Kämpfer war und ein scharfer Beobachter, durch
gleiches Schicksal und gleiche Wünsche enger ver-
bunden mit dem Maler, als es gleicher Geschmack
und gleiche Seelenstruktur vermag. Einer, der nicht
beschrieb und sich frei machte von der „ecriture
 
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