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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Goldschmidt, T.: Die Darstellung der Verkündigung in der Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0370

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299

Stimmung dieser wunderbar tieftonigen Abendhar-
monie. Doch bei Veronese, trotz der goldig strah-
lenden Farbe und der festlichen Heiterkeit seiner
Renaissancehalle, kündet sich in dem komplizierten
Bewegungsmotiv des Engels ein neues Raum-
empfinden an. Die grosse Reaktion, die alles
negiert, was die Renaissance geliebt, bricht an.
Und paralell mit dem Wandel des Raumempfindens
geht eine geistige Strömung, die den neuen Formen
erst Sinn und Bedeutung verleiht. Die olympische
Heiterkeit, der Herrengeist des Zeitalters hatte zu
einer fast gänzlichen Entfremdung von der Kirche
geführt. Der päpstliche Stuhl sah seine Autorität
bedroht und bei dieser Gefahr regt sich von neuem
die Allgewalt des Katholicismus. Um das Volk dem
Glauben zurückzugewinnen, sichert man sich als
mächtigen Bundesgenossen die Kunst, das sinn-
lichste Ausdrucksmittel, das es versteht, alle un-
bekannten Mächte im Menschen aufzuwühlen. Darin
liegt der Unterschied zur Savonarolaströmung. Kam
damals die elementare Bewegung des ganzen Volkes
in der Kunst zum Ausdruck, so handelt es sich
hier um ein künstlich entfachtes Feuer, um das
raffiniert durchdachte Ueberzeugungswerk einer
kleinen Gruppe, die die religiöse Begeisterung
gleich einer ansteckenden Krankheit den Massen
mitteilen will. Und um zu überreden, wird über-
laut gesprochen, heftig gestikuliert; es kommt jene
Schrillheit, jenes Theaterpathos in die Werke, das
mit den gröbsten Mitteln arbeitet, dem Beschauer
möglichst körperliche Suggestionen wecken will.
Um die Nerven künstlich zu erregen und sie in
die hysterische Stimmung zu versetzen, die all das
Uebernatürliche glaubhaft erscheinen lässt, musste
man auch rein technisch zu neuen Mitteln greifen.
Der grossen Ruhe der Renaissance wird die Be-
wegung, der harmonischen Gliederung die Willkür,
dem klaren Umriss, der ruhigen Farbe verschwim-
mende Massen entgegengesetzt. Während das 16.
Jahrhundert eine Welt der Wirklichkeit war, die
selbst das Göttliche zum Harmonisch-Menschlichen
gestaltete, so ist das 17. Jahrhundert das Reich des
Uebernatürlichen, dessen erhitzte Phantasie keine
Grenzen kennt.
Uebertragen wir das Gesagte auf die Verkün-
digung, so ergibt sich von selbst die neue Be-
handlung des Themas. Der Ungläubige soll vor
allem aufgerüttelt werden, erschüttert von dem
göttlichen Wunder, also muss die himmlische Bot-
schaft mit der Heftigkeit eines Blitzstrahls hernieder-
fahren, sodass der Beschauer selber den Anprall
zu spüren vermeint. Dies ist der Gedankengang
Tintorettos, wenn er die mächtige Engelswolke mit
orkanhafter Gewalt heranbrausen lässt, sodass die
Mauer von dem Anprall niederstürzt und Maria
entsetzt zurückfährt. Die Taube hat sich zu einem
flirrenden Strahlenbündel verwandelt; in verschwim-
mendem Lichte wogen die Wolken, schwül von
Elektrizität erfüllt scheint die Atmosphäre. Theoto-
copuli gibt nur das geisterhaft zitternde Neigen
zweier Schatten und ähnlicher Mittel bedient sich
auch Tizian. Denn Tizian, der hundertjährige Re-
naissancemeister, auch er konnte sich der neuen
Ideenwelt nicht verschliessen. Sein Alterswerk in

S. Salvatore liefert wieder den Beweis, dass es
nicht der Künstler ist, der den Styl modelt, son-
dern umgekehrt auch die stärkste Persönlichkeit
dem Wandel des Zeitempfindens unterworfen ist.
Bei Lotto kommt dann zum erstenmal eine andere
Seite der neuen Bewegung zum Ausdruck, der
Naturalismus. Maria kniet mit schreckensvoll auf-
blickenden Augen und emporgehobenen Händen in
einer atemlosen Erstarrung, die die vorherige wilde
Flucht suggeriert; als wirkungsvolle Parallelbe-
wegung lässt er den Schrecken in der davon-
springenden Katze nachklingen. Auf den ersten
Blick mutet es seltsam an, ein Haustier bei dem
heiligen Vorgang zu finden. Aber es handelt sich
um keinen Zufall, sondern um eine ganz bewusste
Absicht, denselben Gedanken, der den Künstler
auch dazu veranlasst, eine vollständige Interieur-
schilderung zu geben, das Zimmer der Maria im
Sinne der Niederländer auszustatten. In dieser
Volkskunst liegt einer der feinsten Schachzüge der
Gegenreformation, die zu gleicher Zeit auf alle In-
stinkte des Menschen wirken will. Zunächst soll
sich das Volk in diesen Bildern heimisch fühlen,
die naive Freude an der gewohnten Umgebung
ihm die Bibel wieder vertraut machen. Und dass
der Engel in diese ärmliche Häuslichkeit hernieder-
gestiegen, gibt ihnen zugleich das Gefühl, dass eine
übernatürliche Welt in den Alltag hereinrage, sich
zu jeder Zeit überwältigend offenbaren könnte. In
diesem Sinn arbeiten dann auch die Spanier. Zur-
baran, dessen grandios monumentale Darstellung
einen so feierlichen Ernst ausströmt, verschmäht
es nicht, Maria häuslich beschäftigt zu zeigen und
ihren Höhepunkt erreicht diese religiöse Einkehr
ins Volkstum bei Murillo, der Göttliches und Mensch-
liches in eigentümlicher Weise verquickt.
Als Parallelbewegung dieser Volkskunst hat
man dann wohl eine andere Richtung zu betrachten,
die von demselben Gesichtspunkt ausgeht, mit dem
einzigen Unterschied, dass ihre Werke für die
Aristokratie bestimmt sind und dementsprechend
ihrem Milieu, ihren Neigungen sich anpassen.
Baroccio führt in das Zimmer eines vornehmen
Landhauses mit dem Blick in die freie Natur. Maria,
die zarte, zimperliche Mondäne mit den koketten
weissen Händen darf nicht erschreckt werden. Des-
halb bemüht sich der Engel, sie im Tone liebens-
würdiger Ueberredung auf die Botschaft vorzu-
bereiten. Es liegt etwas von der manierierten,
parfümierten Atmosphäre der damaligen Salons
über der Zwiesprache, etwas von jener krankhaften
Ueberfeinerung, die auf die robuste Gesundheit der
Renaissance folgte, nur zartes Lispeln, verschwom-
mene Gefühle kannte. Mazzuola erzählt von den
archäologischen Liebhabereien der Gesellschaft;
nicht die künstlerische Freude an der Harmonie
der Antike hat seinen Tempel entstehen lassen,
sondern man liebt es, mit seinen Kenntnissen zu
prahlen. Die alten, ernsten Formen sind erfüllt von
dem unruhigen barocken Empfinden der Gegenwart,
Aerzerrt und grinsend blicken uns die Medaillons
vom Giebelfeld an, als sei die ganze Unrast, die
Hysterie dieser Zeit in den Stein gefahren. Inter-
essant ist die Beobachtung, dass sogar der Engel
 
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