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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Goldschmidt, T.: Die Darstellung der Verkündigung in der Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0371

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aus seiner himmlischen Heimat mit einer antiken
Zeusgemme ausgestattet ist, man also auch dem
Jenseits archäologische Studien imputierte. Bezeich-
nend schliesslich für das frivole Empfinden der
Zeit, die nur unter diesem Deckmantel an der Bibel
Gefallen fand, ist die moderne Lockenfrisur, das
kurze Balletkostüm des Engels. Albanis und Pous-
sins Darstellungen sind von ähnlichen Gesichts-
punkten bestimmt. Am prägnantesten vielleicht tritt
uns diese Auffassung in Lomis Verkündigungsbild
entgegen. Diese schlanke, gracile Mädchengestalt,
deren Köpfchen so weich von vibrierendem Licht
umflutet wird, sie atmet schon ganz die pikante
Grazie des Rokoko; auch die Farbenskala, die auf
das helle Weiss des Bettes gestimmt ist, zeigt die
kühlen Töne des 18. Jahrhunderts.
Man mochte aber gefühlt haben, dass es ge-
schmacklos war, grade dieses keusche Thema in
frivole Rokokostimmung zu transponieren; denn
um diese Zeit kann man konstatieren, dass die
Verkündigungsdarstellungen allmählich verstummen.
In Spanien, dem Land der fanatischen Glaubens-

kämpfe, sind andere Gründe dafür massgebend.
Seit dem Konzil von Trient beschäftigt die Frage
der Konzeption Mariä alle Gemüter und verdrängt
bei den Künstlern die Verkündigung. Jahrhunderte-
lang wird das Thema überhaupt nicht, oder nur in
seltenen Ausnahmefällen behandelt. Erst im 19. Jahr-
hundert sollte es seine Auferstehung feiern, als es
das Ziel der Künstler wird, den Styl und das Em-
pfindungsleben- vergangener Epochen wieder er-
stehen zu lassen. Nazarener und Präraphaeliten,
beide Gruppen haben sich an diesem Lieblings-
thema der Vergangenheit versucht. Aber, während
Overbecks Bild über eine langweilige Nachahmung
nicht herauskommt, haben Rossetti, Burne Jones
und Greiffenhagen die Darstellung selbständig
weitergebildet, sie zum Träger moderner Empfin-
dung gemacht. Den englischen Künstlern hat es
die Gegenwart wohl auch zu danken, dass
wir den zarten Reiz jener alten Verkündigungs-
bilder verstehen lernten, denn sie als die ersten
haben uns das Thema wieder menschlich nahe
gebracht.
 
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