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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

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Voll, Karl: Zur Entwicklung der Landschaftsmalerei, 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.47724#0024

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Zur Entwicklung der Landschatftsmalerei.
Von Karl Voll. A

In der heutigen Kunst nimmt die Landschatts-
malerei eine ausserordentlich hohe Stellung ein.
Sie darf zunächst den Anspruch erheben, bei. Laien
sich der grössten Beliebtheit zu erfreuen, sowohl bei
dem kunstliebenden Publikum schlechtweg, wie auch
bei dem kaufenden. Man kann sogar sagen, dass diese
Beliebtheit nicht wenig dazu beizutragen hat, die
Platituden der erzählenden Genremalerei zu be-
seitigen. _ A
Die Landschaftsmalerei ist aber auch in ge-
: wissem Sinn für die heutige Malerei im Allgemeinen
ausschlaggebend gewesen. Der Umschwung, der
sich vor einiger Zeit in unseren Farbenanschau-
ungen vollzogen hat, beruht grossenteils auf den
in freier Natur gemachten Studien über die Licht-
und Luitprobleme und in dieser Hinsicht ist die
Landschaftsmalerei geradezu die führende Disziplin
gewesen.

Infolge solch grosser Beliebtheit beim Publikum,

das die schmückende Kratt eines Landschatftsbildes so

gerne zu verwerten liebt, hat die Landschaltsmalerei
einen grossen Einfluss auf unsere Binnenarchitekten
gewonnen. Sie entspricht so. recht der heutigen
Einfachheit, und ferner auch dem.jetzt herrschenden
Bestreben, das der Farbe den Vorrang über die
Form geben möchte: so lässt sich z. B. ein innerer
Zusammenhang zwischen den Landschaften eines
Leistikow und den Zimmern eines Van de Velde
sehr gut feststellen. Allerdings darf dabei nicht
verschwiegen werden, dass die Landschaift infolge
ihrer grossen Geschmeidigkeit auch sehr viele Be-
einflussungen gerade von der . Binnenarchitektur
erfahren hat. Es ist jedoch schwer zu sagen,
welcher der beiden Teile mehr gegeben oder em-
pfangen hat. Nur die eine Thatsache besteht eben
zu Recht, dass in der sogenannten hohen, wie auch
‚in der angewandten Kunst die Landschaftsmalerei
heute eine sehr grosse Rolle spielt.

Wer nun, von diesen modernen Verhältnissen
ausgehend; ohne weiteres einen Schluss auf die
Stellung der Landschaft innerhalb der alten Kunst
ziehen wollte, würde zu sehr unebenen Resultaten
gelangen; denn in früheren Zeiten hat die Land-
schaft keineswegs dieselbe hohe Stellung einge-
nommen wie heute. Sie hat sogar lange Zeit eine
recht untergeordnete Rolle gespielt. ;

Diese Thatsache mag nun wohl demjenigen son-
'derbar vorkommen, der noch immer der Meinung ist,
dass wenigstens im Norden die Tafelmalerei aus der
Buchmalerei hervorgegangen ist. Die Buchmalerei

des ausgehenden Mittelalters hat ja gerade in be-

zug auf Landschaft verhältnismässig bedeutendes
geleistet. Den Hauptreiz der illustrierten Hand-
schriften machen neben den zierlichen Arabesken die

I.

ieblichen, so reich mit Szenen des täglichen Lebens

erfüllten Landschaften aus. Wenn nun die Buch-
malerei um das Jahr 1400 ihr Bestes in der Land-
schaft geleistet hat, so hat doch als bald danach die.
eigentliche neuzeitliche Tafelmalerei einsetzte, das
Figurenbild die weitaus grössere Bedeutung ge-
wonnen. Das mag nur denjenigen überraschen, der
nochan die Hypothese vom unmittelbaren Uebergang
aus der Buchmalerei zur Tafelmalerei festhält. Es
empfiehlt sich aber auch hier, die Folgerung kalt-

blütig aus den Thatsachen zu ziehen und diese

nicht nach vorgefassten Meinungen zu interpretieren. .
Wir werden darum gut thun, aus dem angeführten
Verhältnis heraus, :einen weiteren Gegengrund
gegen! die ohnehin schon ziemlich erschütterte
Hypothese vom Ursprung der Tafelmalerei aus der _
Miniatorenkunst zu {olgern.

Es ist übrigens durchaus nicht unnatürlich, dass
die Landschaftsmalerei sich erst sehr spät entwickelt
hat. Wie der junge Mensch erfahrungsgemäss an
der freien Natur ein mehr äusserliches Interesse
nimmt, weil sie eben seinem Spieltrieb entgegen-
kommt und seine Sinne erfrischt, während das.
eigentliche Verständnis für die Schönheiten einer
Gegend und die Fähigkeit die Natur ihrer selbst
und ihrer Herrlichkeiten wegen zu lieben, sich erst
in verhältnismässig später Zeit einstellt, so ist das
auch bei der jungen Menschheit der Fall gewesen,
als diese aus den gebundenen Zuständen des
Mittelalters zu jener freien Regsamkeit des einzelnen
Individuum erwachte, die wir als ein Charakteristikum
der Renaissance aulffassen.

So bedeutungsvoll diese psychologische Er-
klärung auch ist, so sind es doch vorzugsweise
technische Gründe, die ein so langsames und spätes
Ausreifen der Landschafterei veranlassten. Die Land-
schaft bietet viel grössere Schwierigkeiten zur Be-
wältigung dar als irgend ein anderes Genre der
Malerei. Es ist verhältnismässig leicht eine ruhige
Figur im immer gleichen Raum, bei gleicher Be-
leuchtung und stets gleicher Umgebung zu studieren;
aber ein Bild der freien Natur zu entwerfen, das
stellt wesentlich schwierigere Aufgaben an schnelle
Auffassungskraft, geduldiges Ausharren und sicheres
Ergreifen des Hauptsächlichen und Zusammenge-
hörigen. Jede vorüberziehende Wolke verändert die
Beleuchtung, der brausende Windstoss stört die
Ruhe, jede neu auftauchende Gestalt bringt neue
Variationen in die Umgebung und mit jeder Stunde
ändert sich der Stand der Sonne und damit die -
Stimmung: Kurzum draussen im Freien ist alles
voll des abwechslungreichsten Lebens und aus diesem
heraus die Wahrheit zu greifen, das erfordert eine
Stufe der Entwicklung, die keine Kunst in ihren

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