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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

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Nr. 10
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Seydlitz, Reinhard von: Shakespeare- und Bacon-Bildnisse
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https://doi.org/10.11588/diglit.47724#0584

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— 399 —

Shakespeare- und Bacon-Bildnisse.

Von R. von Seydlitz.

Der bekannte Streit um die Autorschaft der
Shakespeare - Dramen zieht im Laufe der Jahre
immer weitere Kreise; neuestens hat der uner-
schrockene Veriechter der Bacon-Theorie, Edwin
Bormann, auch die bildende Kunst hineingezogen,
soweit sie durch Porträts und Büsten der beiden
in Frage kommenden Männer, Francis Bacon und
William Shakespeare, zur Klärung der Sache bei-
tragen kann. *)

Die Publikation ist äusserst dankenswert und
zwar nicht nur für Anhänger und Gegner der Bacon-
theorie, sondern ganz allgemein für jeden Gebildeten.
Denn einmal handelt es sich da um zwei Männer,
die das Interesse aller Gebildeten durch ihre Stellung
in der Litteratur für immer wachgerufen haben und
die man doch natürlich auch gern im Bilde einmal
sehen möchte; aber zweitens bietet die iesselnde
und wohl vollständige Wiedergabe der Porträts
kunsthistorisch wie kostümlich des Wichtigen und
Bedeutenden ausserordentlich viel. Zum erstenmale
ist hier den weitesten Kreisen eine vollständige
Galerie geboten, die einem Jeden Gelegenheit giebt,
nicht nur die Gesichtszüge jener Männer kennen
zu lernen und in den verschiedenen Wiedergaben
von mehr oder minder bedeutenden Porträtisten
zu vergleichen, sondern auch sich ein Urteil zu
bilden über die Bedeutung des Aeussern als Gefäss
des Geistes eines grossen Mannes. In anderem
als dem vorliegenden Falle ist ein unbefangenes
Beurteilen nämlich meist nicht mehr möglich: von
den meisten grossen Männern haben wir das Porträt
oder die Statue zugleich mit ihren Werken kennen
gelernt, — so sehr, dass sich uns ein wohlbekannter
‚Typus dafür in der Erinnerung festgestellt hat, wie
z. B. einen Dante, einen Goethe, einen R. Wagner
Jedermann sofort wiedererkennen wird.

Anders aber bei Fr. Bacon und W. Shakespeare.
Des einen Werke interessieren nur den, der sich
der Geschichte der Wissenschaften, besonders der-
jenigen der Philosophie, gewidmet hat; vom Leben
des andern wissen wir trotz eifriger Forschungen
so blutwenig, und auch besonders so wenig An-
ziehendes, dass die Frage nach seinem Aeussern
. nicht so dringend sich geltend macht. Ist also das
Leben Shakespeares der grossen Menge unbekannt
und uninteressant wie die Werke Bacons, so war
andererseits für dieselbe grosse Menge das Interesse

* „Der Shakespearc-Dichter; wer wars und wie sah er aus ?*
Leipzig 1902, Edwin Bormanns Selbstverlag. Mit 40 Porträttafeln
und 4 Textbildern.

an den Shakespeare-Dramen, so lebhaft es ist, nie hin-
reichend, um streng nach dem Aeussern des Mannes
zu forschen; gerade wie man etwa ziemlich gleich-
gültig der Frage gegenübersteht, ob Fr. Bacon mit
Recht oder Unrecht von seinem Kanzleramt verjagt
worden ist: das berührt den Wert seiner philo-
sophischen Werke nicht. Schliesslich begnügt sich
die grosse Welt mit einem mehr oder minder aus
der Phantasie geschöpften Idealbildnis und beruhigt
sich dabei, wie etwa beim Dürer’schen Karl dem
Grossen oder dem Moses Michelangelo’s.

Ehe weiter in die Besprechung jener 40 Blätter
Porträts eingegangen wird, ist. zu betonen, dass
damit keineswegs für oder gegen die Bacon-Theorie
irgendwie Stellung genommen werden soll, — wo-
zu die „Monatsberichte“ ja auch gar nicht der
Platz wären. Vielmehr wollen die folgenden Aus-
führungen nur die rein künstlerische, porträt-histor-
ische Seite zum Ausgangspunkt genommen wissen,
in der Ueberzeugung, dass auch diese allein schon
des Wichtigen genug bietet, und andererseits, dass
wer da will, von unseren so gewonnenen Erkennt-
nissen aus auf jene Theorie seine Schlüsse zu
ziehen mehr als ohnedem in der Lage sein wird.

Die Galerie zerfällt in zwei Teile, indem näm-
lich E. Bormann ganz richtig zuerst die Bildnisse
bringt, die den Schauspieler W. Shakespeare dar-
stellen oder doch darstellen sollen. Es sind ihrer
24, worunter zwei Büsten und eine Totenmaske;
alle übrigen Gemälde und Stiche. Im zweiten Teil
sehen wir dann die Baconbildnisse, 14 an der
Zahl, welche (Wiederholungen abgerechnet) auf 15
Blätter verteilt sind: ausser Stichen und Gemälden
eine Büste und eine Statue. Man sieht, der Zahl
nach genügte dieses reiche Material wohl zur
Bildung eines klaren Begriffes über den Typus
beider Männer. Bei flüchtiger Uebersicht aber wird
man leider sofort sehen, . dass erstens eine Reihe
Bildnisse am besten ganz auszuscheiden hat, da
sie mit der angeblich dargestellten Person vermut-
lich gar nichts zu thun haben (worauf wir im
Einzelnen noch zurückkommen werden), und dass
zweitens bedauerlicherweise eine Anzahl von so
minderwertigen „Kunst“ - Produkten darunter ist,
dass der Beschauer mit Recht nicht nur zweifeln
muss, ob sie dem ersten Gebot aller Porträtkunst:
dem der Aehnlichkeit, genügen, sondern auch, ob
ein solcher Kopf je irgend jemandem auf der weiten
Gotteserde ähnlich sehen oder gesehen haben kann.
Immerhin aber bleibt genug übrig, was dem prüfen-

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