Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

DOI Heft:
Nr. 3
DOI Artikel:
Voll, Karl: Zur Entwicklung der Landschaftsmalerei, 2
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47724#0138

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zur Entwicklung der Landschattsmalerei.

Von Karl Voll.

Das 16. Jahrhundert hat bei seinem Beginne
die meisten der ganz grossen Künstler der neueren
Zeit noch bei der Arbeit, oder es hat wenigstens,
da es selbst zur Rüste ging, sie als junge Novizen
in die Domänen der Kunst eintreten sehen. Michel-
angelo, Correggio, Giorgione, Tizian und Dürer sind
nur wenige der grossen Namen, die durch De-
zennien das 16. Jahrhundert verherrlichen. Rubens
aber und Franz Hals stehen an seinem Ausgang.
Dieses selbe Jahrhundert hat, zunächst wohl in
Italien, die prinzipielle Umbildung des Renaissance-
stils in den des Barocks mit einer überaus intensiv
arbeitenden Folgerichtigkeit vollzogen: die künst-
lerische Regsamkeit der Zeit war sehr gross. Trotz
allem aber darf für unsere heutigen Kunstanschau-
ungen das 16. Jahrhundert in weiten Teilen seines
Verlaufes als eine Epoche der Routine und Virtuosität
gelten, die einesteils mit pedantischer Gelehrsamkeit,
andernteils mit lautem, aber etwas gewissenlosem
Pathos an der Verarbeitung des von den gesunden
Tendenzen des 15. Jahrhunderts geschaffenen künst-
lerischen Gutes ihren oft so blendenden Witz übte.
Besonders auf dem Gebiete der Malerei hat man
sich damals in dem Stadium des Uebergangs be-
funden. Die Malerei hat den Umschwung, der die
Architektur im heraufkommenden Barock so rasch
wieder zu bedeutenden Leistungen geführt hat, zwar
auch mitgemacht, aber anfänglich doch nur von
fern und später als die Architektur hat sie aus
dem Umschwung auch Nutzen gezogen. Das
16. Jahrhundert bereitet die grosse Blüteperiode
der Malerei im Zeitalter der Velazquez und Rem-
brandt vor, indem es die alten bewährten Sujets
immer wieder behandelte, aber allmählich alles,
was sich an ihnen als nicht mehr lebenskräftig be-
weisen konnte, abstiess. So entstand unvermerkt
aus den so lange fortgeführten Motiven, die zum
Teil bereits an der Wende des 15. zum 16. Jahr-
hundert beliebt waren, in der Zeit des jungen
Rubens eine neue Kunst, der man den engen
Zusammenhang mit der ersten Blüteperiode nicht
so ohne weiteres anmerkt.

Solchem Charakter entspricht es, dass die
erste hohe Blüte der Landschaitsmalerei, wie sie
mit Patenir, Altdorfer und Giorgione bezeichnet
wird, nicht so bald zur goldenen Frucht ausreitte.
Eine Epoche der Routine wird nicht die erforder-
liche Konzentration besitzen, um die ungeheure
Fülle des Thatsächlichen weiter zu erforschen, das

H.

in der freien Landschaft zu beobachten ist. Sie
wird mehr an der formalen Ausgestaltung des
Bildmässigen in der gemalten Landschait arbeiten,
mehr darauf achten, dass sie auch in der Land-
schafterei die malerischen Gesetze verwerte, die
sie für die Figurenmalerei anwendet: kurz, sie
wird. zwar vieles für dieses wichtige Fach thun,
nur nicht das eine, was ihr vor allem not thut:
das unabhängige Studium der freien Natur wird
sie nicht einführen. Im Norden liegt der Fall mit
leider besonders klarer Offenheit zu tage. Wir
brauchen nur Namen wie Paul Bril, die Künstler-
familie Breughel und Valckenburg nennen, um
darzuthun, dass gerade die sonst so realistische
nordische Kunst in jenen Tagen sich in erster Linie
darum bemüht hat, die alten Motive immer wieder
zu behandeln; aber man bemerkt doch, dass sich
auch mancherlei geändert hat. Das schöne tiefe
Blau, das die älteren Landschafter so sehr geliebt
haben, wird immer heller und blässer, jawohl, so-
gar wässerig. Ganz unvermerkt ändert sich das
Aussehen der Landschaften. Es wird eine Art
von Eleganz, Leichtigkeit und Zierlichkeit in ihnen
angestrebt; indem aber die Maler, wie Breughel,
so hübsche Nichtigkeiten machen, geben sie den
noch latent arbeitenden Tendenzen der Malerei
nach, die im 17. Jahrhundert die helle freie Land-
schaft entstehen liessen. Auch in formaler Hinsicht
macht sich in den kleinen, meistens hellblauen,
niederländischen Landschaften des späteren 16. Jahr-
hunderts die Tendenz zum Fortschritt geltend. Je
öfter die alten Motive wieder vorgenommen wurden,
desto mehr verschwand aus ihnen das Moment
des Phantastischen und willkürlich Zusammenge-
stellten, das selbst den Landschaften des Patinir
eigentümlich ist. Ohne dass man die Phänomene
der Naturerscheinungen gründlich studiert hätte,
strebte man immer mehr nach einem veduten-
mässigen Eindruck. So sehr aber nun die Vedute
in der Malerei mit Recht heute als etwas primitives
angesehen wird, so gross ist doch offenbar ihre
historische Bedeutung. Sie pflegt die Vorläuferin
der echten, künstlerisch empfundenen Landschaft
zu sein. Diese Rolle wird sie späterhin in der
Kunst des 19. Jahrhunderts spielen und für das
16. Jahrhundert darf sie wenigstens in den Nieder-
landen die Ehre beanspruchen, in der gleichen
Weise den grossen Meistern der Blütezeit den Weg
gebahnt zu haben.
 
Annotationen