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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

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Nr. 3
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Voll, Karl: Zur Entwicklung der Landschaftsmalerei, 2
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Suida, Wilhelm: Ein verloren geglaubtes Werk Bramantinos
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https://doi.org/10.11588/diglit.47724#0140

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ein gewisses Vorrecht einzuräumen. Auf der Be-
gegnung des Jacob mit der Rahel in der Dresdener
Galerie hat Palma der Landschaft ein ganz anderes,
ein tielferes Interesse zugewendet als z. B. Tizian
auf der himmlischen und irdischen Liebe oder selbst
auf den drei Menschenaltern bei Lord Ellesmere
das gethan hat. Die Landschaft wird hier mit einer
sozusagen menschlichen Vorliebe studiert und damit
erwacht die Freude an ländlichen Genreszenen,
die weit verschieden ist von allem, was die ältere
Kunst, zumal in Holland, auf diesem Gebiet geleistet
hat. Ein neues Genre wird damit geschaffen, das
besonders in der Bassanoschule mit grösstem
Erfolge kultiviert wird, ein Genre, das so recht geeignet
war, den Tendenzen des 17. Jahrhunderts voranzu-

arbeiten. Die Freude am rein Malerischen, die doch
den Bassani eigen ist, konnte nicht verfehlen, die
Augen zu öffnen für all’ die vielen Möglichkeiten,
die gerade an der Kunst der Malerei noch zu lösen
waren. So hat die Landschaft auch von dieser Seite
betrachtet sich als ein sehr wichtiger Faktor der
Kunstentwickelung des 16. Jahrhunderts dargestellt.
Sie hat neben der ebenfalls so kernigen Porträt-
malerei, selbst zu Zeiten des scheinbaren Verfalles
die Tradition aufrechtgehalten, sie sogar geläutert
und gerade dann, wenn die Ruhe der Ermattung
zu herrschen schien, hat sie im Verborgenen die
Keime des Neuen reifen und zur Entfaltung

kommen lassen.
(Fortsetzung {olgt.)





Ein verloren geglaubtes Werk Bramantinos.

Von Dr. Wilhelm Suida.

Ein im Besitze der Herren Artaria in Wien
befindliches, gegenwärtig in Hugo Helbings Salon
in München ausgestelltes Gemälde dürfte wohl ver-
möge seiner künstlerischen Qualitäten Anspruch
auf ein besonderes Interesse erheben. Es ist ein
Oelbild auf Holz (154 cm hoch : 102 cm breit),
dessen Figuren in etwa ?/s Lebensgrösse erscheinen.

Wir sehen auf dem von einem weissen Bahrtuche
überdeckten Sarkophage den Leichnam Christi liegen,
dessen Oberkörper von der Madonna gestützt wird,
während die Beine ausgestreckt liegen und in Ver-
kürzung von vorne gesehen sind. Die Frauen um-
stehen weinend und mit den Enden des Bahrtuches
ihre Thränen trocknend den Erlöser und seine
trauernde Mutter, ganz links wird Johannes sicht-
bar, der den Blick auf Christi Antlitz gerichtet hält
und dessen rechten Arm stützt. Behutsam naht
der greise Josef von Arimathia aus dem Hinter-
grunde, als zögerte er noch, sein bescheidenes Grab
dem Gottessohne zur Ruhestätte darzubieten. In

die Trauer der Freunde stimmen fünt Engelkinder -

ein, die zu Füssen Christi sich versammelt haben.
Sie erheben klagend die Arme, blicken zum Himmel
auf, oder verbergen weinend das Angesicht an der
Erde. Auf diese Szene stiller Versenkung aber
schauen griechische Tempelbauten, die den Hinter-
grund erfüllen, feierlich ernst herab. Ein Schweigen
liegt über allem, als sollte die Heiligkeit inneren
Fühlens durch keinen Laut gestört werden.

Den koloristischen Eindruck bestimmen das
weisse Bahrtuch, das gelbliche, in den Schatten
zu grau sich verdüsternde Incarnat, dunkelcarmin-
rote, grüne oder schwärzlichblaue Töne in den Ge-
wändern, die grauen Gebäude und der grünlich-
blaue, transparente Himmel.

Trotzdem das Bild gegenwärtig den Namen des
Andrea Previtali trägt, kann doch die Frage nach
dem wahren Urheber nicht zweifelhaft sein. Schon
im Katalog der im Jahre 1899 zu London vom
„Burlington fine arts club“ veranstalteten Aus-
stellung von lombardischen Gemälden aus der
Renaissancezeit, auf der sich unser Gemälde
befand, ist es ‚als Werk des Bartolommeo Suardı,
genannt Bramantino verzeichnet. Der Gesammt-
Charakter des Bildes, sowie Einzelheiten: die Vor-
liebe für Verkürzungen, die in langgezogenen
Falten herabfallenden Gewänder, die turbanartige
Kopfbedeckung der Madonna, die Behandlung der
Hände, des Haares, der zur äussersten Linken
sichtbar werdende Profilkopf, die antiken Architek-
turen — diese alle weisen uns mit Bestimmtheit
auf Bramantino. Finden wir doch ähnliche Dinge
auf seinen Werken in Mailand wieder. Doch,
ich glaube, wir dürfen noch einen Schritt weiter
gehen.

In der handschriftlichen Biographie Bramanti-
nos, welche Don Venanzio de Pagave verfertigte,
erfahren wir von einem Dokumente, welches dann
 
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