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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

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Nr. 8
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Blümner, Hugo: Tracht und Nacktheit in der Porträtbildnerei: Bemerkungen zum Roland-Bismarck und zum Zeus-Beethoven
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— 279 —

Tracht und Nacktheit in der Porträtbildnerei.

Bemerkungen zum Roland-Bismareck und zum Zeus-Beethoven.

Von Hugo Blümner.

Es kommt heutzutage nicht gerade häufig vor,
dass sich die öffentliche Meinung über ein Kunst-
werk aufregt. Bei Gemälden muss es schon etwas
ganz Absonderliches sein, wenn die Meinungs-
äusserungen über die Kreise der Fachkritik hinaus
ihre Wellen ziehen; was anfangs auf irgend welcher
Kunstaustellung Bewunderung oder Verwunderung
erregt und dann seinen Platz in einer öffentlichen
Galerie oder einer Privatsammlung gefunden hat,
pflegt meist nur vorübergehend den allgemeinen Ge-
sprächsgegenstand in den schöngeistigen Kreisen
dieser oder jener Residenz abzugeben. Etwas anderes
ist es mit den Denkmälern, die an hervorragender
Stelle ihre Aufstellung gefunden haben oder finden
sollen. Da redet. womöglich jeder, der Berufene
und der Unberufene, mit, und es brauchen noch
nicht einmal Meisterwerke zu sein, um die es sich
handelt, — Beispiele: die Figuren der Siegesallee
oder das Berliner Kaiser-Wilhelm- Denkmal, der
Bismarck vor dem Reichstags-Gebäude oder der für
Rom bestimmte Goethe. Nicht bald aber ist die
Gelegenheit zu lebhaftem und leidenschaftlichem
Meinungsaustausch so günstig gewesen, wie bei
den zwei Bildwerken, die in den letzten Monaten
im Vordergrund der künstlerischen Diskussion
standen: dem Lederer’schen Bismarck für Ham-
burg und dem Klinger’sschen Beethoven. Dort
der erste Reichskanzler, den wir in zahlreichen
Denkmälern in seiner Generals-Uniform in irgend
einer Pose erblicken, oder hie und da auch als
Friedrichsruher Gutsherrn mit Tyras und Schlapp-
hut — im eisernen Harnisch, mit wallendem Mantel
und grossem Zweihänder; hier der grosse Ton-
dichter, dessen Denkmäler bisher sehr spärlich
gesät sind, dessen charakteristisches Aeussere aber
jeder im Kopfe hat — thrönend auf reichverziertem
Bronzesessel mit nacktem Leib, einen herrlichen
Onyxmantel um die Beine geschlagen, vor ihm der
Adler; dort Bismarck als Roland, hier Beet-
hoven als Zeus! Beides in unserer modernen
Denkmäler-Plastik so neu und so überraschend,
dass es sehr begreiflich ist, wenn von den einen
Hosianna und von den anderen Ach und Weh
gerufen wird. Da lohnt es sich doch wohl, etwas
darauf einzugehen, wie sich die gesamte künst-
lerische, aus der Kunstgeschichte geschöpfte Er-
fahrung zu dieser eigenartigen Auffassung unserer
grossen Nationalhelden stellt. Denn die Geschichte
ist nicht bloss für Monarchen und Völker die Lehr-

meisterin — ein Satz, den kein Mensch bezweifelt —,
sondern sie ist es auch in künstlerischen und
litterarischen Dingen, obschon es gerade da nicht
an Gegnern dieses Satzes fehlt, in den Reihen der
Künstler und Dichter selbst ebensowohl wie in
denen der Kritiker, — Gegnern, die überhaupt von
jeder objektiven Kritik in aesthetischen Fragen
nichts wissen wollen und ebenso der aprioristischen
Betrachtungsweise nach Art Lessings oder Vischers,
als der historischen jegliches Recht der Einsprache
oder des Tadels absprechen. Uns mit diesen hier
auseinanderzusetzen ist nicht unsere Aufgabe. Aber
mag es nun wahr oder mag es falsch sein, dass
es ewige Gesetze der Kunst gebe, — es kann das
doch nur von Bedeutung sein, wenn ‚es ganz neue
Fragen sind, die uns entgegentreten, Fragen, über
die uns die Vergangenheit keinen Aufschluss erteilt,
weil sie sie nicht gekannt hat. Aber hier ist das
nicht der Fall; was wir hier in jenen beiden Denk-
mälern vor uns sehen, ist nichts weniger als neu
und unerhört, es ist bloss neu für die Kunst der
Gegenwart, speziell der letzten 50 Jahre, und eben
darum ist es lehrreich zu sehen, was wir in dieser
Frage aus einer Betrachtung der Denkmal-Kunst
vergangener Zeiten, der altklassischen wie der
christlichen, lernen können.

Das, worum es sich handelt, können wir mit
den beiden Schlagworten realistisch und
idealistisch, wenn auch nicht ganz scharf und
erschöpfend, so doch im wesentlichen richtig und
allgemein verständlich bezeichnen. Nur muss freilich
von vorn herein einem etwaigen Missverständnisse
vorgebeugt werden. Wenn man in der Portrait-
kunst schlechtweg von realistischer undidealistischer
Auffassung spricht, so sind zwei Dinge zu unter-
scheiden: die Auffassung der Persönlichkeit ihrem
Wesen nach, zumal was die Wiedergabe des Ge-
sichts oder sonst des Geistigen im Leiblichen be-
trifft, und zweitens die Darstellung der Persönlich-
keit ihrem Aeussern nach, nach Tracht, Attributen,
Stellung u. dgl. Eine Porträtfigur kann hinsichtlich
des Zeitkostüms dem strengsten Realismus folgen‘
und dabei doch in der Auffassung des dargestellten
Menschen idealisieren, und ebenso umgekehrt,
und für beides fehlt es in der Geschichte der
Denkmalsplastik nicht an Belegen. Hier aber haben
wir es lediglich mit der zweiten Art der Auffassung
zu thun, die das Aeusserliche betrifft, also mit Tracht
und Attributen: ob der Künstler darauf ausgeht,

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