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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

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Nr. 3
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Haenel, Erich: Ilsée, Prinzessin von Tripolis: Lithographien von Alphons Mucha
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Ilsee, Prinzessin von Tripolis.
Lithographien von Alphons Mucha.
Von Erich Haenel.

Es war im Jahre 1894, als an den Plakat-
wänden und Bauzäunen der Seinestadt zwischen
den leichtgeschürzten Reklamegöttinnen der Cheret,
Georges Meunier, G. de Fleure, der Grasset, Willette
und Ibels eine Gestalt auftauchte, die den erstaunten
Parisern. das Bild ihrer göttlichen Sarah in einer
ganz neuen Auffassung vergegenwärtigte. Hoch-
aufgerichtet, den Blick der Schehezeradenaugen in
die Ferne verloren, die schlanken Glieder von
einem starren schwergestickten Brokat umhüllt —
so stand sie da; die Rechte hält den Palmzweig,
die Linke drückt ein Kreuz aufs Herz, eine Blumen-
krone von tropischer Ueppigkeit lastet auf dem
rotgoldnen Gelock. Wie ein Aureole leuchtet ihr
Name aus dem Mosaikrund des byzantinischen
Wandbogens, und darüber verkünden goldene
Lettern das Wesen der wunderbaren Erscheinung :
Gismonda.

Das Glück war der grossen Komödiantin
wieder einmal hold gewesen. Tout Paris lag ihr
zu Füssen, deren Schönheit hier eine Auferstehung
von unerhörtem Glanze zu feiern schien. Und
wirklich, wenn Inhalt und Form, in eins ver-
schmolzen, den Wert einer künstlerischen Arbeit
bestimmen, so war hier ein Meisterwerk geschaffen,
das seinen Schöpfer mit einem Schlag in die erste
Reihe der lebenden Dekorationskünstler rückte.
Alphonse Mucha — man hatte den barbarischen
Namen noch nirgends gehört. Wo kam er her,
wer kannte ihn? So wuchs die Legende auf, die
seinen Ruhm begründen sollte. Die Bernhardt
hatte in Prag, durch Zufall, auf einer ihrer Fahrten,
einen jungen Künstler getroffen, dessen Schönheit
sie gleichermassen wie sein Talent entzückte. Sie
hob ihn mit gütiger Hand zu sich empor, und
fesselte ihn mit goldenen Ketten an ihren Thespis-
karren: er sollte der künstlerische Prophet ihrer
Schönheit, ihres Genies werden. In Paris, wohin
er ihr folgte, hielte sie ihn in einem märchenhaft aus-
gestatteten unterirdischen Gemach vor der Welt ver-
borgen, eifersüchtig wachend über seinen Stilt und
seine blauen Augen. .. Paris hatte wieder einmal ein
Foyergespräch. Aber das junge Leben des „afficheur
de Mad. Bernhardt“ hatte in Wirklichkeit wenig von
dem romantischen Zauber gesehn, mit dem die
Sage es umkleidete. A. Mucha war in einer kleinen
Stadt Mährens, Ivancia, im Jahre 1860 geboren;
sein bald deutlich sichtbares Talent hatte auf den
Akademieen zu München und Wien die erste Aus-
bildung erfahren. Schliesslich strandet er, wie so
viele seiner Landsleute, in Paris, und schlägt sich,
nach Kräften arbeitend, ein paar Jahre durch, bis
ihm die durch Zufall erworbene Gönnerschaft eines

österreichischen Aristokraten die Mittel zu geregel-
terem Studium schenkt. Seit 1890 malt er im Atelier
Julian und nennt Lef&vre, Boulanger und vor allem
Jean-Paul Laurens seine Meister. Des letzteren
Einfluss verraten eine Reihe von Illustrationen, die
Mucha für ein historisches Sammelwerk „Sc&nes
et Episodes de l’Allemagne“ zusammen mit Roche-
grosse schuf. Von seinem persönlichen Stil ist
indes weder hier noch in den zahlreichen anderen
Zeichnungen, in denen sein fleissiger Stift sich
damals übte, zu spüren. Höchstens, dass in den
„Contes de Grand’ Mere“, ediert von Furne-Jouvet
und Co., schon ein Hang zum Mystischen auftaucht,
wie er später bei der Schilderung der mittelalter-
lichen Romantik so seltsam hindurchleuchtet. So
arbeitete er sich fort, vier Jahre lang;da ging über dem
kleinen Atelier in der Ruede la Grande Chaumi@re
der Stern des Erfolges auf. Eines Tages fragt der
Direktor des Renaissancetheaters telephonisch bei
Lemercier, dem grossen Kunstverlag, an, ob er ihm
sofort ein Plakat für Mad. Bernhardt’s neuestes
Zugstück schaffen könne. Mucha ist gerade im
Bureau, und übernimmt, auf des Verlegers Angebot,
den Auftrag, die Sarah giebt ihm einige Finger-
zeige, und ein paar Tage später steht die Zeich-
nung auf dem Stein. Zwar ist die Platte zu klein,
um. die ganze Fläche des Riesenblattes farbig zu

decken — daher der Mangel des Fonds an der
unteren Seite — aber die Künstlerin ist entzückt,
und bald leuchtet der wundervoll zusammen-

gestimmte Farbenakkord von Gold, Silber, Matt-
gelb, Grün und Heliotrop von allen Affichenwänden
der Stadt. Mucha legt die Lorbeeren, die ihm die
Gismonda bringt, seiner schönen Gönnerin zu
Füssen, und bleibt der gefeierte Apostel ihrer
Bühnenthaten. So entsteht das Plakat „Les Amants“,
dann die „Dame aux Camelias“, ein ausserordent-
liches diskret getöntes Blatt, 1896 der vielbewunderte
„Lorenzaccio“, nach Alfred de Mussets Drama,
und schliesslich die „Samaritaine“, die letzte be-
rühmte Gestaltung der alternden Tragödin, die
damit ihrem jüngsten Prot&ge&, Edmond Rostand,
die Pforten der Unsterblichkeit aufzustossen unter-
nahm. Und mittlerweile war auch das Monopol,
das sie sich über die Kunst des jungen Mähren
hatte vorbehalten wollen, längst gesprengt worden.
Man war begeistert von der süssen Anmut seiner
Frauen, von der müden Schwärmerei der lang-
bewimperten Augen, die aus dem vollen Oval des
zarten Gesichts glänzten; man bewunderte die
sichere, klare Zeichnung, der ein unendlich vor-
nehm gestimmtes Kolorit neuen Reiz verlieh. Man
kostete mit Entzücken die Feinheit des ornamentalen
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