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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

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Haenel, Gustav: Max Klingers neuestes Schaffen
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— 356 —

Max Klingers neuestes Schalten.

Von Gustav Haenel.

Als Böcklin in diesem Jahre heimging zur
Kunstgeschichte der Vergangenheit, da gab es
wohl wenigstens unter den Deutschen keinen, der
nicht die Ueberzeugung teilte, dass wir in ihm den
grössten der lebenden Maler verloren. Es scheint
fast unmöglich, dass eine so. vielgestaltige Kunst
wie die unsere, in einem führenden Haupte ihren
Gipfelpunkt finden könnte, und Böcklin stand, in
Stil und Ausdrucksweise völlig eigen und persönlich,
durchaus abseits von den übrigen. Trotzdem hat
ihm keiner der schier zahllosen hervorragend
tüchtigen Maler, die in ihrer Unabhängigkeit von
einander das Aufstellen einer künstlerischen Rang-
liste heute zu einem Dinge der Unmöglichkeit
machen würden, als ihren gemeinsamen. über-
legenen Herrscher den Unterthanseid versagt. Und
wenn er sich selbst dieser seiner Stellung bewusst
war, so war das kein Mangel an persönlicher Be-
scheidenheit; ein solcher Mangel an Einsicht wäre
bei ihm nur verwunderlich gewesen.

Böcklin ist tot... Steht sein Thron jetzt leer
oder giebt es bereits einen, der sein Erbe ange-
treten hat? In dem Streite, der sich gegenwärtig
um Max Klinger erhebt, kann man diese Frage
als Unterton mitklingen hören. Nachdem die Vol-
lendung des Beethoven das Signal gab zu einer
wahren Hochflut von Kritiken, zu einer geradezu un-
ermesslichen Kunstschreiberei, wie sie seit langem
durch kein künstlerisches Ereignis hervorgerufen
worden ist, mag es fast überflüssig erscheinen,
die Menge dieser Tageslitteratur noch zu vermehren.
Obwohl Klinger von Anfang an günstigere Be-
dingungen für eine äussere Anerkennung vorfand
als Böcklin und rascher als dieser seit langem
über das Schicksal des unverstandenen Neuerers
hinweg zu Ruhm und Erfolgen gelangt ist, hat
sich doch die Oeffentlichkeit nie so sehr mit ihm
beschäftigt wie jetzt. Die anfangs einstimmige
Begeisterung über den Beethoven hat eine leise,
dann immer entschiedenere Opposition geweckt,
man hörte sogar von einer in Leipzig organisierten
Bewegung, die es sich direkt zur Aufgabe setzte,
den Ankauf des Werkes von seiner Vaterstadt zu
verhindern. Wenngleich dies erfolglos blieb, so
muss man in den gegnerischen Stimmen doch
etwas mehr erblicken, als jene unverständige und
prinzipielle. Ablehnung, von der das wirklich ganz

Bedeutende doch nur getroffen wird, so lange es

neu ist. Einmal steht Klinger wenigstens in Deutsch-
land längst auf dem Gipfel des Ruhmes und braucht

sich auch gegenüber seiner Vaterstadt bisher nicht
über Mangel an Interesse und Opferwilligkeit zu
beklagen; ausserdem ist die Zeit, wo Genies bei
uns unentdeckt verhungerten, überhaupt vorbei. Im
Gegenteil, weit öfter wird ein Halbtalent von der
Kritik mit Posaunenstössen auf den Schild gehoben,
ehe es Zeit findet, auszureifen.

Klinger hat sich in letzter Zeit fast ausschliess-
lich mit Plastik beschäftigt und die Graphik so
zurücktreten lassen, dass man sich fragen muss,
ob er nicht überhaupt an einer entscheidenden
Wendung in seiner Entwicklung angelangt ist. Und
man muss ihn auf dem neuen Gebiete auch als
Neuen betrachten und prüfen, ob ihm wirklich
hier auch die erste Stelle gebührt, die ihm als ‚einen
Radierer unzweifelhaft zuerkannt werden muss.
Wenn man unbeschadet des gigantischen Lebens-
werkes, das schon hinter ihm liegt und das ihn
mehr als einen andern zum Geistesverwandten der
grossen Renaissancekünstler stempelt, nicht in kritik-
loser Bewunderung jetzt jedes Werk ohne weiteres
bejubelt, das sein Atelier verlässt, so liegt darin
noch keine Geringschätzung seiner Grösse. Eines
ist jedenfalls sicher. Der Mann, der schon im
Alter von 45 Jahren der interessanteste und eigen-
artigste lebende deutsche Künstler ist, und die
reichste Quelle künstlerischer Phantasie in sich
trägt, steht noch nicht am Ziele. Stürbe er heute,
so könnte er mit stolzer Befriedigung auf ein Werk
zurückschauen, das fest und abgerundet als ein
imponierender Markstein in alle Zeiten hineinragen
wird; — da wächst in dem Malerradierer noch in
der Fülle der Manneskraft: der Bildhauer hervor
und zwar mit solcher Intensität, dass er den andern
fürs erste stark beiseite drückt. Vielleicht kommt
später wieder einmal der Radierer mehr zu Wort,
Klinger wird immer mehr zu sagen haben, als
ihm Zeit bleibt, auszudrücken, vielleicht aber haben
wir auf einem noch anderen Gebiete Schöpfungen
von ihm zu erwarten. Ein reicher Schatz, z. B.
von ornamentalem Stilgefühl und von rein deko-
rativen Einfällen kommt in den Radierungen nur
nebenher zur Geltung. ;

Falsch aber wäre es, wollte man behaupten,
dass sich sein plastisches Schaffen bisher in gleich-
mässig aufsteigender Linie bis zu dem Gipfelpunkte
des Beethoven bewegt habe. Dieser ist nur der
präciseste Ausdruck eines besonderen Geschmackes
und eines persönlichen Stiles, der aber nicht der
echt plastische ist. Der Beethoven hat nichts
 
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