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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

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Nr. 9
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Hirsch-Gereuth, Adolf von: Die Malereien der Biccherna und Gabella zu Siena
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Popp, Hermann: Giovanni Battista Tiepolo
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Nr. 10
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https://doi.org/10.11588/diglit.47724#0534

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— 363 —

noch als ein Teil des Registers der Ein- und Aus-
gänge der Biccherna und Gabella angesehen. Denn
man trägt auch jetzt noch die Daten und Titel des
Registers ein, wenn auch das Bild jetzt vom Codex
getrennt ist und grössere Dimensionen hat.

Bald schon werden indessen die Gemälde noch
grösser, es verschwindet die Ueberschriit des Co-
dex, es verbleiben bloss die Namen und Wappen
der Bürger, und allmählich verschwindet auch
jene einfache und naive Kunst, welche bei den Dar-
stellungen der vergangenen Jahrhunderte so sym-
pathisch berührt. Den Künstlern des Seicento genügt
nicht mehr dasTatelgemälde, sie greifen jetzt zur Lein-
wand, um grosse Gemälde in Oel auszuführen. Aber
auch die Freskomalerei kommt wieder auf, haupt-
sächlich durch die auf drei Jahre gewählten Quaes-
toren der Biccherna, die, weil sie längere Zeit im
Amte waren, auch grössere Summen aufzuwenden
vermochten. In den zwei Sälen, die der Biccherna

zur Verfügung standen, finden sich denn auch
interessante Darstellungen aus der Geschichte von
Siena und Italien. Selbst die Reichsgeschichte
kommt dabei auf ihre Rechnung, so findet sich
ein Gemälde, Friedrich Barbarossa und Papst
Alexanders IIl., der seinen Fuss auf das Haupt
des ersteren setzt, ferner eine Abbildung Gregors VII.,
wie er in Gegenwart der Markgräfin Mathilde
Heinrich IV. wieder in den Schoss der Kirche
aufnimmt.

Allmählich verschwinden die Darstellungen,

welche das bürgerliche und politische Leben zum

Vorwurf nahmen, gab es ja nur noch dem Namen
nach eine Republik. Man kommt wieder auf das
religiöse Sujet zurück und weicht nur selten von
demselben ab, wenn man das tiefgehende Bedürfnis
empfand, dem Landesfürsten oder einem Kardinal

eine Huldigung zu erweisen.
Dr. A. von Hirsch-Gereuth.

Giovanni Battista Tiepolo.

Lesen wir die Reisebeschreibungen des 16. Jahr-
hunderts, so lernen wir Venedig als eine märchen-
hafte Zauberstadt kennen, nur vergleichbar mit
den Wundern aus Tausend und eine Nacht. Fabel-
hafte Schätze des Ostens und Westens waren in
seinen Mauern angehäuft, unerhörter Glanz und
Reichtum breitete sich über das gesamte Menschen-
sein, die Malerei entfaltete ihre buntesten, herr-
lichsten Blüten, die Musik fand wie die Dichtkunst
liebevollste Pflege, vornehme Männer und schöne
Frauen spielten die Laute und in den Gondeln
sang man die herrlichsten Stanzen aus Tassos
„Beireitem Jerusalem“. Selbst die _Sstolzesten
Patrizier waren in den Künsten und Wissenschaften
bewandert, sie philosophierten und schrieben die
Geschichte der Republik. Griechen und Armenier,
Türken und Perser wandelten auf dem Marcusplatz,
boten Geschmeide, kostbare Steine, bunte Fächer
und seltene Arbeiten aus dem Orient {feil, auf der
Adria kamen und gingen mit Schätzen reich be-
ladene Schiffe, von allen Seiten strömte Macht
und Kraft herbei, sammelte sich hier wie in einem
Brennpunkt, um als leuchtendes, wärmendes Licht
zurückgestrahlt zu werden. Griechischer Marmor
und istrische Steine türmten sich zu märchenhatten
Bauten, goldene Kuppeln überragten die Paläste
und Kirchen, Säulen und phantastische Bogen-
fenster, goldener Zierrat, schimmerrnide Mosaiken
und porphyrne Medaillons reihten sich in endloser
Pracht. Auf den Strassen und Plätzen ergingen
sich aristokratische Gestalten von Männern und
Frauen in reichen, farbenprächtigen Gewändern

und über allem spannte sich der blaue Himmel,
von dem herab die Sonne ihre goldenen Strahlen

sandte, alles zusammenfassend in einen einzigen

glühenden Farbenaccord, in eine rauschende Sym-
phonie der Macht und jauchzenden Lebensbejahung.
Keine Armut gab es in der Lagunenstadt, keines
Bettlers zerlumptes Kleid befleckte die Harmonie
der Farben, alles strotzte von Ueberfluss an Besitz,
an Kraft und Selbstbewusstsein. — Zweihundert
Jahre später und welch gewaltige Veränderung
bietet sich unseren Blicken! Von all der Pracht
blieb nur der Himmel und die Sonne. Die vor-
nehmen Männer mit den stolzen Gesichtern und
aristokratischen Gebärden, die edlen Frauen, deren
blondes Haar einst Perlen und köstliches Ge-
schmeide zierten, haben sich in Banditen und
Dirnen verwandelt. Statt der Stanzen sang man
Zoten, statt den Wissenschaften und Künsten huldigte
man dem Spiel und wüsten Leidenschatten, statt
des kraftvollen Selbstbewusstseins taumelte man
von Abenteuer zu Abendteuer, um schliesslich
unter dem wohlgezielten Dolchstich eines Bravo
zu enden. Frivol und wollüstig, borniert und
dünkelhaft hatte man nur das Bestreben, dem
Begehren der überhitzten Sinne zu willfahren.
Mit Schäferspielen und Dilettantenaufführungen,
bei denen der Cicisbeo die Hauptrolle spielte, mit
schamloser Koketterie und üppigen Gelagen brachte
man die Tage und Nächte zu. Ueberall war an
Stelle des Glanzes Schmutz — an Stelle geistiger
Genüsse Raffinement und Verderbtheit getreten.
In den Palästen, deren Wände einst vom Klang vor-
 
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