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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

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Nr. 8
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Saloman, Geskel: Die Bedeutung der Venus von Milo
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https://doi.org/10.11588/diglit.47724#0424

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— 292 —

Die Bedeutung der Venus von Milo.

Von Prof. Geskel Saloman.

Die Venus von Milo wurde in einer Exedra
gefunden, nach dem Zeugnis der Weihinschrift
des Bakchios und den Beschreibungen der Augen-
zeugen, Brest, Matterer und Voutier. Ausserdem
konstatiert die Form der Plinthe, dass sie in einem
Halbkreis aufgestellt war, und nach Vitruv hatten
Exedren die Form eines Rektangels, der in einem
Halbkreis endigte.

Die Weihinschrift besagte, dass ein gewesener
Untergymnasiarch die Exedra dem Hermes und
Herakles geweiht habe. (Die Hälfte der Inschrift
war verloschen.) Daraus schloss man, wie auch
der Unterzeichnete, dass die Exedra zu einem
Gymnasion gehört habe. Ein solches hätte aber
doch wohl während der Dienstzeit des Gymnasiarchen
planmässig fertig gebaut sein müssen, und es ist
zu bedenken, dass die in der Inschrift genannten
Götter des Gymnasions, Hermes und Herakles, die
in Hermenform mitgefunden wurden, auch zum
Gräberkultus gehört haben könnten, was besonders
von der gleichfalls mitgefundenen Bakchosherme
gilt. Die Umgebung des Fundortes war nämlich
mit Gräbern angefüllt, die sowohl in den Felsen
ausgehauen, wie im Tuflboden eingegraben waren.

In der Gräberstrasse bei Pompeji steht ein
halbzirkelförmiges Gebäude mit Bänken, welche
zugleich Gräber waren. Overbeck nennt es Nische,
es könnte aber auch Exedra genannt werden, denn
Springer sagt (Handb. d. K. 1898, I S. 217) Nische,
Exedra; eine ähnliche Marmortafel befindet sich
über dem Eingang; die Inschrift ist erloschen.
Eine Variante der V. v. M., der verstümmelte Torso
von Trier, wurde auf einem Kirchhof gefunden.

Eine andere entferntere Variante der V. v. M.,
gleichfalls ohne Arme, wurde in der Nähe von
Argos gefunden. Sie stellt den linken Fuss auf
einen Schwan, der sich unter ihrem Tritt windet.
Plato sagt: der Schwan singe im Sterben von der
jenseitigen Glückseligkeit. (Phädon c. 36 ed. Wytt
p: 60; in Argos hatte die Aphrodite Epitymbia,
die Gräber-Venus, einen Kultus). Der Schwan ist
auch Symbol der Prophetie: von der Replik in
Trier heisst es, dass sie Orakel verkündigte.

Der Helm, auf den mehrere andere Varianten der
V. v. M. den Fuss stellen, hat die Form des Helms
des Hades, wie er einen solchen auf einem Ge-
mälde in den Katakomben trägt. (Perret, Cat. d.
Rome I. Pl. 72.) Bei Homer lesen wir: „Da deckte
sich Athena mit des Aides Helm, auf dass Ares
sie nicht sehe. (Il. V, 8227—28.) Der Helm des Hades,

das Zeichen der furchtbaren Nachtfinsternis wird
auch auf Kora übertragen; KOPASX an einem Helm
auf . Münzen. (Welcker. Gr. Götterl. II P. 434.)

Auch ein Altar wurde neben der Venus auf Melos
gefunden. „Der runde Grabaltar mit Blumen etc.
gehört ganz vorherrschend den Inseln an, bis nach
Rhodos und der westasiatischen Küste hinüber‘
(L. Ross, Arch. Auifs. I. S 61.)

Die Gräber-Venus hatte auch in Lakonien einen
Kultus, und Melos gehörte zu Lakonien mit Aus-
nahme von 12 Jahren von 416—404, wo die Insel
von attischen Kolonisten bewohnt war; die Weih-
inschrift der Exedra war im lakonischen Dialekt
abgefasst

Auf antiken Friedhöfen sind Hermen zu hun-
derten gefunden worden, besonders stellte man
Hermes als Seelenführer in Hermenform auf Gräber.

Das verschwundene Ansatzstück zur Plinthe
der V. v. M. hatte einen Bruch an seiner rechten,
wie die feste Plinthe einen solchen an ihrer linken
Seite hat. Beide bilden auf der Debayschen Zeich-
nung einen gemeinsamen Bruch, der nur enstanden
sein kann, als die beiden Plinthen vereinigt waren und
zwar durch das Abschlagen des linken Fusses, um den
dortigen Halter zu entwenden. Auf der Oberfläche
der Ansatzplinthe befand sich eine viereckige Ver-
tiefung, in welche die Hermesherme passte. Ver-
gleicht man diese Herme mit dem Kopf der
V. v. M, so findet man so viel Aehnlichkeit in der
Form und in der Mache, dass beide vom selben
Meister herzurühren scheinen. Wir wissen nun
auch durch die 1892 veröffentlichen Zeichnungen
Voutiers, dass diese Herme bei der Auffindung
noch in der Ansatzplinthe steckte. (Taf. 98.)

Hat also die Hermesherme neben der Venus
auf einer Erhöhung der Plinthe gestanden, die mit
der Draperie sich rückwärts schräge senkte, so
dürfte diese auffallende Form einem Grabe in dem
abschüssigen Terrain des Klimax auf Melos nach-
gebildet sein und somit die Plinthe mit zur Kom-
position gehört haben, wie bei der Gruppe des
farnesischen Stiers, bei der Statue von Subiaco u. a.
In diesem Fall stellte die Göttin den linken Fuss
auf ein Grab, wie denn die Gräber-Venus ja auf
Gräbern weilt. ;

Konnte sie nun einen Apfel gehalten haben,
wie es die mitgefundene linke Hand anzeigt?

Wenn überhaupt Aphrodite, die Liebesgöttin
eine Grabesgöttin sein kann, so wird sie auch ihr
Symbol, den Liebesapfel halten können. Hat ja
 
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