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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

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Nr. 8
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Suida, Wilhelm: Beiträge zur Kenntnis von Bramantes bildnerischer Thätigkeit, 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.47724#0423

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= 291 —

Nun noch ein Wort über den Argus im Castell
von Mailand: In der Zuschreibung dieses grossen
Freskogemäldes an Bramante schliesse ich mich dem
übereinstimmenden Urteile vieler Kunsthistoriker
an, befinde mich aber in Widerspruch mit dem
Enidecker, Herrn Dr. Müller der nur die archi-
iektonische Umrahmung als Werk Bramantes, die
Gestalt selbst aber als von Lionardo ausgeführt,
auffasst. Die Gründe, welche ihn hiezu veranlassen,
nämlich einige Notizen in Lionardos Schrilten, kleine
Hüchtige Federskizzen des Meisters, welche Figuren
in ähnlicher Stellung zeigen, endlich der Umstand,
dass der Merkur in anderer ‚Technik gemalt ist,
als die Umrahmung, scheinen mir nicht zwingend
genug, um alle Indizien, welche für Bramantes
und gegen Lionardos Urheberschalt sprechen, zu
entkräftigen. Das Standmotiv mit den gekreuzten
Beinen, die wuchtigen Formen des Körpers, die
Behandlung des Nackten mit scharfer Sonderung
der einzelnen Muskelpartien, die gelbliche Inkar-
nation mit grauen und roten Tönen, die Retflex-
lichter auf der beschatteten Körperseite, all. diese
Eigenschaften kennen wir als für Bramantes Werke
charakteristisch. Die Modellierung war uns ähnlich,
wenn auch etwas weicher verschmolzen am Christus
in Chiaravalle, die Körperbildung und Gewandbe-
handlung ganz verwandt an den Gestalten der Casa
Prinetti entgegengetreten. Die in die architekto-
nische Umrahmung eingefügten Medaillons enthalten
auf bräunlichem Grunde mit dem Pinsel gezeichnete
und in den Lichtpartien gehöhte Darstellungen:
Die Einschläferung und Enthauptung des Argus
durch Merkur, sowie eine allegorische Szene, welche
die Gerechtigkeit verbildlicht. Trotz mancher Un-
korrektheiten, den viel zu langen Verhältnissen der
Figuren, gezwungenen Bewegungen, genügt doch
ein flüchtiger Blick, um uns darüber zu belehren,
dass wir es auch hier mit genialen und kraftvollen
Schöpfungen des Meisters selbst zu thun haben.
Der unter dem Eindruck Lionardo’scher Gebilde
entstandene Typus des schlafenden Argus erinnert
uns an einzelne Köpfe im Friese der Casa Silvestri.
Was endlich die Technik betrifft, so ist, wie es
scheint, dieselbe hier, wie in der Casa Prinetti
zur Anwendung gekommen. Nach der Angabe von
Dr. Paul Müller ist der Argus etwa im Jahre 1489
entstanden.

Die Aufzählung einiger authentischen Zeich-
nungen wollen wir noch derjenigen der Malereien
Bramantes folgen lassen. Schon von Seydlitz hat
mit Recht den ruhenden Herkules in Berlin (Kupfer-
stichkabinett, unter Bramatinos Namen‘) für Bra-
mante in Anspruch genommen. Ein weiteres Blatt,
auf weiches Herr Dr. Gronau die Güte hatte,
mich hinzuweisen, wäre hinzuzufügen: Der heilige
Christophorus mit dem Christkinde, eine Kreide-
zeichung in der kgl. Sammlung zu Kopenhagen.?)

4 S,
lungen 1887.

?) Daselbst unter Mantegnas Namen, phot. von Hansen und Weller
in Kopenhagen.

die Abbildung im Jahrbuch der kgl. preuss. Kunstsamm-



Die schweren, plumpen Körperformen des Riesen-
heiligen stehen in merkwürdigem Kontraste zu dem
lieblichen, ganz lionardesken Christuskinde, welches
als von anderer Hand beigefügt erscheint. Der
Typus des Christophorus stimmt genau mit jenem
des ruhenden Herkules überein.

Herrn Dr. Gustav Frizzoni verdanke ich den
Hinweis auf ein Blatt im Museum von Lille‘),
welches auf beiden Seiten Federskizzen aufweist:
Studien nach dem Nackten. Ist auch der Typus
der Köpfe sehr bramantesk, so möchte doch die
sehr ungenügende Beherrschung der Anatomie und
der Proportionen des menschlichen Körpers den
Gedanken an Bramantes Urheberschaft bei diesem
Blatte zurückdrängen. Wohl aber gehört die Zeich-
nung in Bramantes Nähe und ist vielleicht eine
ganz frühe Studie des Bramantino, an dessen
Manier Einzelheiten, wie.die Behandlung der Hände,

aufs genaueste erinnern.

Noch eine Vermutung mag hier ausgesprochen
werden; Torre*) berichtet über verloren gegangene
Malereien Bramantes in Mailand: „Wendet den
Blick zu der Facade des gegenüber- — von S. Michele
al Gallo — liegenden Hauses und bewundert die
auf drei viereckigen Tafeln von Bramante in

: Tempera gemalten Figuren: Auf dem ersten Bilde

erhebt sich ein reich gedeckter Tisch, um den
einige Schmausende sitzen, auf dem zweiten sieht
man zwei Richter auf erhöhtem Stuhle, von welchem
sie gewaltsam von eindringendem Volk herab-
gerissen werden, auf dem dritten eine Person eben-
falls sitzend auf einer schlichten Bank mit dem
befreundeten Nachbar sich unterhaltend; an diesen
Werken kann man Bramantes Malweise erkennen,
seine gute Zeichnung bewundern, sowie die ge-
waltsamen Verkürzungen, allerdings auch die
Düriftigkeit des Faltenwurfs und den Mangel an
Bewegung bemerken. Es heisst, man hätte solche
Malereien an jener Stelle angebracht zur Erinnerung,
dass die Gerichtsbarkeit in jener Gegend ihren
Thron hatte.“ Nun befindet sich in der Ambro-
siana .zu Mailand eine dem Bramantino sehr nahe-
stehende Federzeichnung, auf der ein bartloser
Mann mit ganz bramanteskem Kopftypus zu sehen
ist, in weitem, doch scharfkantig gefalteten Gewande,
auf einem einfachen Holzbänkchen sitzend, das
Haupt nach rechts gewandt, als wäre er im Begriffe,
zu einer daneben befindlichen Person zu sprechen.
Die merkwürdige, schwer erklärbare Darstellung,
sowie die auffallend nahe Beziehung zu Bramante
und Bramantino in formaler Hinsicht, lassen wohl die
Möglichkeit als naheliegend erscheinen, dass uns
in diesem Blatte eine Erinnerung an das von Torre
oben an dritter Stelle beschriebene, verloren ge-
gangene Gemälde Bramantes erhalten geblieben sei.

(Fortsetzung in Heft 9.)





1) Photographiert von Braun unter Mantegnas Namen.

2) II Ritratto di Milano 1674, pag. 250.
 
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