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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

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Nr. 8
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Suida, Wilhelm: Beiträge zur Kenntnis von Bramantes bildnerischer Thätigkeit, 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.47724#0422

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— 290 —

Beobachten der Einzelheiten und deren sorgfältigster
Wiedergabe. Alles aber ist beherrscht von einer
Kraft und Monumentalität des Ausdruckes, in dessen
Nacherleben es uns zur Gewissheit wird, dass dieser
leidende Christus Bramantes zu den grössten
Schöpfungen der Renaissancekunst gehört ').

Ein solcher Künstler aber sollte für uns ein
„Unbekannter“ sein, von dessen malerischem Schaffen
nur spärliche Reste erhalten wären, von dessen Ent-
wicklung und Wirkung auf die Zeitgenossen wir
uns keine deutliche Vorstellung mehr machen
könnten? —

Schon Pagave hat es versucht, eine Reihe von
Werken zusammenzustellen, die ihım von der Hand
des Bramante von Urbino herzurühren schienen.
Und mit einer, dem Schwanken späterer Forscher
gegenüber sehr anerkennenswerten Bestimmtheit
hat er an der Echtheit der Fresken der Casa Sil-
vestri und des Christus in Chiaravalle festgehalten.
Das Tafelbild mit dem Martyrium des heiligen
Sebastian, bis vor kurzem sehr ungünstig in der
Kirche S. Sebastiano zu Mailand aufgestellt, jetzt
in das Museum des Castells übertragen, welches
von den älteren Schriftstellern einmal dem Bramante,
das andre Mal dem Bramantino gegeben wird, hielt
Pagave auch für ein Werk des Urbinaten. Die
Forscher sind, seitdem eine genauere Untersuchung
an dem Originale vorgenommen werden konnte,
wohl ziemlich einig darüber, dass diese Tafel keinem
der genannten Künstler angehört, sondern eine
Arbeit des Vincenzo Foppa ist. Der eifrige Sammler
aller Nachrichten über Bramantes Leben und Wirken
in der Lombardei behauptete weiter, ein Gemälde
von des Meisters Hand, die „Herabkunft des heiligen
Geistes“ darstellend, selbst zu besitzen, und eine
Lucrezia, gleich ausgezeichnet durch die „Wahr-
haftigkeit des Ausdruckes wie die Feinheit des
Kolorits“ gesehen zu haben. Ohne sichere An-
gaben über diese Werke machen zu können, möchte
ich nur darauf hinweisen, dass in der im Mai 1900
in Paris versteigerten Sammlung Cernuschi sich
eine „Herabkunft des heiligen Geistes“ unter
Bramantinos Namen befand (der jetzige Auf-
bewahrungsort ist mir unbekannt), ein grosses und
sehr bedeutungsvolles, den Selbstmord der Lucrezia
darstellendes Gemälde aber von der Hand des
Bartolommeo Suardi im Besitze des Conte Sola-
Busca in Mailand existiert. Es ist wohl möglich,
ja wahrscheinlich, dass diese beiden Bilder mit den
von Pagave genannten identisch sind, was uns
zeigen würde, dass auch bei ihm die Scheidung
zwischen Bramante und seinem Schüler keine genaue
war.

H. v. Geymüller hat die Kenntnis auch der
malerischen Thätigkeit des grossen Architekten
durch Mitteilung neu entdeckter Dokumente und
durch Sichtung des Materials vermehrt. Durch
eine Nichtbeachtung der Bedeutung Bramantes {für
die Entwicklung der Malerei in der Lombardei
kamen Crowe und Cavalcaselle dazu, seine cha-



') Es mag nicht unerwähnt bleiben, dass in einem vielleicht von
Caradosso geschaffenen Marmorrelief im Museum des Castello zu Mailand
der Christus Bramantes von Chiaravalle ziemlich getreu kopiert erscheint.
Dieses Relief ist neuerdings von Malaguzzi-Valerı dem Omodeo zu-
geschrieben worden (Rassegna d’arte 1902 fasc. 2).

rakteristischesten Werke, den Christus in Chiara-
valle und die Fresken der Casa Silvestri wieder
dem Bramantino zu geben und dadurch die Per-
sönlichkeit Bramantes aus der Geschichte der
Malerei gewissermassen zu streichen, was Giuseppe
Mongeri mit der Behauptung besiegelte, es seien
gar keine sicheren malerischen Arbeiten Bramantes
in Mailand mehr erhalten.

So weit war man in der Skepsis gekommen, als
W. v. Seydlitz es unternahm, dem Architekten die
ihm gebührende Stellung als Maler wieder zurück-
zuerobern.!) Von dem bezeichneten Kupferstiche
den Ausgang nehmend, brachte er die durch Tra-
dition gestützten Fresken der Casa Prinetti und
Casa Silvestri, sowie den Christus in Chiaravalle
wieder in ihr altes Recht und entdeckte in einer
Zeichnung, einem ruhenden Herkules im Berliner
Kupferstichkabinett (daselbst dem Bramantino zu-
geschrieben), ein unzweifelhaftes Werk Bramantes, ?)
dessen malerische Thätigkeit er durch die Zusam-
menstellung alles urkundlichen und literarischen
Materials in scharfes Licht rückte. Bei den von
Seydlitz ausgesprochenen Ansichten, auf dessen
Mitteilung aller wichtigen literarischen Nachrichten
ich hier verweise, ist man im wesentlichen stehen
geblieben, nur eine bedeutsame Bereicherung des
Materials ist zu verzeichnen, welche Dr. Paul
Müller durch die Aufdeckung des grossen Fresko-
bildes des Argus im Castell von Mailand erzielte.
Davon soll später noch die Rede sein. Dem-
selben Forscher verdanken wir das „Bekannt-
werden einer Notiz Lionardos, der unter verschie-
denen Dingen, die ihn in der ersten Zeit seines
Mailänder Aufenthaltes interessieren, „Gruppi“ des
Bramante nennt.?) Im Katalog der vom Burlington
fine arts Club 1898*) in London veranstalteten
Ausstellung lombardischer Kunstwerke wird unter
Bramantes Werken ausser den von Seydlitz zu-
sammengestellten noch ein Christus als Schmer-
zensmann ım Besitze des Conte Lucchino del
Mayno genannt. Dieses Gemälde, welches ich
dank des liebenswürdigen Entgegenkommens des
Conte Cesare del Mayno zu wiederholten Malen
besichtigen konnte, rührt trotz grosser Verwand-
schaft in der Komposition doch, wie ich glaube,
nicht von demselben Künstler, wie der Christus in
Chiaravalle her, also nicht von Bramante, sondern
ist ein Jugendwerk Bramantinos, dessen Verhältnis
zu seinem Lehrer darin ganz deutlich wird, in der
ganzen äusseren Verwandtschaft und dem durch-
greitenden inneren Unterschiede. ?)



1) Bramante in Mailand, Jahrbuch der kgl. preuss. Kunstsamm-
lungen 1887.

?) Die Kreidezeichnung des Kopfes eines alten Mannes (unter
Masaccios Namen phot. von Braun Nr. 5) im Museum zu Lille, von Seyd-
litz ebenfalls für Bramante in Anspruch genommen, dürfte eher von
Bramantinos Hand sein, worauf die mit den Formen beinahe im Wider-
spruch stehende Zartheit des Ausdruckes weisen möchte.

3) Beiträge zur Kenntnis von Lionardo da Vinci. Jahrbuch der
kgl. preuss. Kunstsammlungen XVIII. pag. 103. Vermutungsweise bringt
Dr. Müller-Walde die dekorativen Verschlingungen an der Decke der
KDSNS im Hofe von S. Ambrogio in Mailand mit Bramante in Zusammen-

ang.

*) Burlington fine arts club, Illustrated Catalogue of pictures by
masters of the milanese and allied schools of Lombardy exhibites May,
June and July 1898. London 1899.

5) Bei einem kleinen Bildchen der Sammlung Lochis in Bergamo,
die Taufe durch einen Bischof darstellend, welches den alten Namen
„Bramante Lazzari“ heute noch trägt, hat wohl niemals jemand ernstlich
an Bramante gedacht; es ist ein recht mässiges Produkt aus der Nach-
folge Bramantinos.
 
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