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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

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Nr. 3
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Schmerber, Hugo: Arthur Mahler's "Polyklet und seine Schule"
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https://doi.org/10.11588/diglit.47724#0174

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— 108 —

Arthur Mahler’s „Polyklet und seine Schule“.

Die archaeologische Forschung bietet seit
einiger Zeit Untersuchungen, in welche sich auch
der Vertreter der modernen Kunstgeschichte mit
Vergnügen und Erfolg vertieft. Es sind dies Dar-
stellungen, die über der Kritik einzelner Kunst-
werke nicht vergessen, uns immer schärier vor
Augen zu führen, wie weit und mächtig sich der
Einfluss der einzelnen Kunstheroen verbreitete, wie
der Typus, den sie speziell pflegen und ausbilden,
nicht nur ganzen Jahrhunderten die Signatur aui-
prägt, (Bildung von Athleten-, Weib-, Kindergestalt)
sondern auch noch späte Epigonen immer wieder
influenziert. Wilhelm Klein führte uns so vor wenigen
Jahren mit seinem „Praxiteles“ in die sonnigste
Höhe der griechischen Kunst, und heute bringt
Arthur Mahler mit seinem Werk „Polyklet und
seine Schule“!) die Einleitung zu dem grossen
Jahrhundert des gefeiertesten Meisters. Mit dem
Worte Einleitung wäre aber der Inhalt des Buches
nicht erschöpft. Mahler fasst es nicht nur als seine
Aufgabe, den Polyklet als Künstler darzustellen
und seine Werke zu kritisieren; sein Bestreben
geht dahin, zu zeigen, wie Polyklet mit dem Do-
ryphoros ein ihm spezielles Problem der Darstellung
löste, — das Problem der bewegten Ruhe, und
wie er mit der Lösung dieses Problems einen
Typus schuf und eine Führerrolle übernahm, deren
Wirkung, rein oder vermengt mit den Einflüssen
von Praxiteles und Skopas, klar gelegt wird. In-
dem Mahler aber diesen Typus herauslöst und
immer wieder betont, schafft er auch die Basis,
um kritisch die Werke des Meisters festzustellen,
der, — kein Naturalist, auch nicht von üppiger
Phantasie durchglüht —, sich stets von neuem be-
mühte, auf dem Princip der bewegten Ruhe alle
Gestalten aufzubauen. Dadurch glückte es ihm
z. B., auch dem Rätsel, das Plinius durch den
Bericht: .. „(fecit) duosque pueros item nudos talis
ludentes qui vocantur astragalizontes . . .“ geschafien
hat, eine annehmbare und liebenswürdige Deutung
zu geben. Der Autor löst diese paradoxe Be-
hauptung, welche den Schöpfer der Athletenfigur
par excellence fast zum Darsteller einer Genrefigur
gestempelt hatte, durch den Hinweis auf eine
Bronzestatuette eines Knaben im Louvre und einen
Hermeskopf im Louvre, mit deren Hilfe er nach-
weist, dass im Astragalizon ursprünglich ein Götter-



') Mahler, Arthur, Polyklet und seine Schule. Ein Beitrag zur
Geschichte der griechischen Plastik. Mit 51 Illustrationen im. Text.
Athen und Leipzig: W. Barth 1902. (VII. S. und 159 S.) 9 Mk.

bild zu suchen sei, welches erst später im Laulie
der Zeit seinen Charakter als solches einbüsste.
In der bekannten Amazonenfrage strebt der
Autor eine neue Zuteilung an, indem er das
Exemplar des Kapitolinischen Museums mit Polyklet
in Verbindung bringt. Ob nicht eine neue Hypo-
these abermals alle Verbindungsfäden, welche die
scharfsinnige Deduction des Autors gesponnen hat,
zerreisst, wird die Zukunft lehren. Nur auf Eines
sei verwiesen: Die Polemik gegen die Hypothese
Furtwänglers, der die berliner Amazone dem
Polyklet zuweist, enthält eine so naturwissenschaft-
liche Untersuchung über die Qualität der Wunde,
dass alle Meister, die mit dem Werke
bindung gebracht werden mögen, hyper-realistische
Künstler hätten sein müssen, wenn sie solche Motive
bei ihrem Schaffen geleitet haben würden. In der
berliner Amazone erkennt Mahler eine Vereinigung
polykletischer und praxitelischer Elemente, und
diese Statue wird nun der Ausgangspunkt für den
zweiten höchst anziehenden Teil seiner Schrift.
In einer Reihe von Monumenten, — berliner
Amazone, Dionysos aus Tivoli, Frauenkopf der
Sammlung Jacobsen in Kopenhagen, — erkennt
er das Fortleben polykletischer Ideen, die sich mehr
oder minder mit dem Einfluss der glänzendsten
Erscheinung der griechischen Kunst, des Praxiteles,
vermengen. Die Verbindung jener Werke mit
Phradmon, das Herausarbeiten dieser bisher etwas
farblosen Persönlichkeit, mag vielleicht angefochten
werden, deshalb aber büssen die Untersuchungen
von Mahler ihre Bedeutung nicht ein. Sein Streben
ist weniger darauf gerichtet, die Geschichte der
Künstler zu schreiben, als vielmehr den Werde-
gang, oder besser gesagt, den Geist der griechischen
Skulptur zu erfassen, bei welcher einige Heroen
die Grundtöne anschlugen, die eine Schar mehr

:ooder minder geschickter Werkmeister zu den ver-

schiedensten Melodien verarbeitete. Mahler ver-
folgt mit Liebe diese neuen Gebilde und demonstrieri
z. B. am Hermes von Trözen in Athen, dass sich
diese Werkmeister nicht scheuten, auch durch Ver-
bindung so heterogener Ideen, wie jene des Skopas
und Polyklet neue Formen zu schaffen. — Es wäre
zu wünschen, dass der Verfasser den Weg, der
ihn bei seinen Betrachtungen zu Lysipp führte,
noch weiter verfolgen und auch diesen — uns
moderne Menschen so kongenial berührenden —
Meister in den Kreis seiner Untersuchung ziehen

möchte. H. Schmerber.

— SIR —

in Ver-
 
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