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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

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Nr. 8
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Schmerber, Hugo: Einige Nachrichten über Guarino Guarini
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https://doi.org/10.11588/diglit.47724#0418

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Einige Nachrichten über Guarino Guarini.

Von Dr. Hugo Schmerber.

Bei einem Manne, der wie Guarini sein Leben
einem Orden geweiht hat, erscheint es einleuchtend,
dass er in seinem Wirken als Künstler mehr oder
minder von der religiösen Genossenschaft, der er
angehörte, influenziert war. -

Sein Leben als Ordensbruder gewährte ihm
Mussestunden, und von dem Studium der Mathe-
matik, das ihn zur Astronomie führte, ist auch
kein allzu weiter Weg zur Baukunst. Einem Orden,
der gleich jenem der Theatiner in ganz Italien, in
Paris und Prag freudig willkommen geheissen wurde,
musste es sehr genehm sein, aus der Schar der
eigenen Getreuen einen Schöpfer für die an allen
Orten entstehenden Kirchenanlagen zu finden.

Guarini fand also hier wohl ein reiches Feld
für seine Bestrebungen; allein er hatte auch ein
scharf vorgezeichnetes Programm vor sich, das
sich erst erweiterte, als er in Turin in den Dienst
der Herzöge von Savoyen trat.

Es ist nicht das Erdenwallen eines echten
Künstlers, der ungebunden seine Lehr- und Wander-
jahre nach Herzenslust verbringt, als angesehener
Meister mitten im schäumenden Leben steht, an
den mannigfachsten Aufgaben seine Kräfte stählt
und seinen ganzen Geist der Kunst — und nur
ihr allein — widmet.

Dass die Architektur Guarini schon interessierte,
als er in Rom sein Noviziat absolvierte, ist wohl
nicht zu bezweifeln, da er sonst kaum im stande
gewesen wäre, im Jahre 1653, also im Alter von
29 Jahren, für die Kuppel der Theatinerkirche San
Vincenzo in Modena ein Modell zu entwerfen; !)
doch ist es zur richtigen Beurteilung seines Wirkens
gut, sich vor Augen zu halten, dass seine Werke
in erster Linie als Schöpfungen eines scharfen
Denkers zu betrachten sind, der vielleicht mit Ver-
gnügen zum Messtab greift, aber immer wieder
einem einzigen Problem — dem Kirchenbau —
eine neue Seite abgewinnen musste.

Man hat sich gewöhnt, die Namen Bernini,
Borromini und Guarini in einem Athemzuge zu
nennen, man liebt es, aus ihren Werken eine Stulfen-
leiter der immer kühneren Linienführung zu ge-
stalten, ja man stempelte den Theatinermönch zum
Träger einer architektonischen Richtung, deren
Wellen, wenn auch verflachend, nach dem Norden
und Westen Europas schlugen.

Verwandte Züge in den Werken jener Meister
rechtfertigen die landläufige Ansicht; doch wenn
wir auf den Ursprung ihres künstlerischen Schaffens

1) Sandonnini Tommaso: „Del padre Guarino Guarini“, Modena 1890.
— Eine Arbeit, die häufig auf Quellen zurückgreift, aber mehr das Leben,
als die Werke Guarinis ins Auge fasst.

zurückgehen, so erscheinen hier Menschen zu einer
Gruppe, zu einer nachwirkenden Schule vereint,
die aus ganz heterogenen Gründen dieselbe Bahn
schreiten. Bernini — ein ganzer Künstler, Architekt
und Bildhauer, künstlerischer Mittelpunkt; Borro-
mini — kleiner wohl, aber immer neue Bahnen
anstrebend, den Grösseren zu übertrumpifen und —
Guarini? Der stille Gelehrte, der in Paris Zeit
findet, ein Colleg über Theologie zu lesen, seine
„Placita Philosophica“ zu edieren') und mit eben-
solcher Liebe darangeht, eine komplizierte Grund-
disposition oder eine verwickelte Kuppelkonstruktion
zu ersinnen, zu ergrübeln.

Dort der geniale Meister, der täglich ein neues,
grosszügiges Problem ergreilt und löst — hier der
Mann der Wissenschaft, der mit Langhaus und
Centralbau Schach spielt, Wände drückt und krümmt
und Kurve an Kurve legt; dort der Tausendkünstler,
der mit perspektivischen Kunststücken den Beschauer
täuscht, hier der scharfsinnige Mathematiker, der
uns in die Konstruktionsglieder seiner Kuppel?)
mit derselben Klarheit blicken lässt, wie. in die
Glieder seiner mathematischen Beweise.

Sie wandeln grundverschiedene Wege und
schöpfen aus grundverschiedenen Motiven, und es
klingt wie Ironie des Schicksals, dass eine spätere
Zeit sie so enge aneinander rückte, sie zu konge-

.nialen Geistern prägte.

Die Gestalt des Guarini ruft nach einem Bio-
graphen, der ihm gibt, was ihm gebührt und ihm
nimmt, wodurch er falsch beleuchtet erscheint.

Im folgenden möchte ich ein paar Daten bringen,
welche für eine Biographie vielleicht nicht ohne
Nutzen wären. Vor allem sei auf ein Werk ver-
wiesen, das nicht nur in der Speziallitteratur, son-
dern auch in den allgemeinen Kunstgeschichts-
büchern (z. B. A. Springer „Handbuch der Kunst-
geschichte“, 4. Autlage, IV. S. 382) unter dem
Namen des Guarini figuriert, wie ich glaube, mit
Unrecht: es ist die Kirche S. Gregorio in Messina.

Vom stilistischen Standpunkt war es sehr nahe-
liegend, die Schöpfung einer so erhitzten, südlichen
Phantasie, wie diese Kirche mit mehr oder weniger
Bestimmtheit zu einem Werk des Theatinermönchs
zu stempeln; allein man sucht vergebens nach
einer Nachricht, welche diese Annahme rechtfertigen
könnte. Guarini hat sich nach Sandonnini?) wohl
sicher in Messina aufgehalten und war dort nicht
allein als Baumeister, sondern auch als Lehrer der
Mathematik und Philosophie dieser Stadt geschätzt

3 Sandonmnini 1. c. S. 20.
?) Z. B. die Kuppel der kgl. Kapelle im Dom S. Giovanni Turin.
a) 1. c. S. 17-18.
 
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