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Pantheon — 1.1928 = Jg 1.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.57094#0086

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EINE VERKÜNDIGUNG VOM MEISTER DES FRANKFURTER
PA RADIESGAR T LEINS

VO N WA L T E R HÜGELS HOFER

Aus englischem Privatbesitz gelangte unlängst durch Ver-
mittlung der Firma Böhler in München in die Sammlung
Oskar Reinhart in Winterthur ein kleines Täfelchen aus
weichem Holz, der einfach gekehlte, vergoldete Rahmen mit
dem Malgrund aus einem Stück, ohne Rahmen 18,5 X 14,8 cm.
Ein einfacher Vorwurf: die Verkündigung (s. färb. Titelbild).
Soweit es sich verfolgen läßt, ist die Komposition eine originale.
Sie ist bezeichnend für Veranlagung und Wesensart des Malers.
Keine theatralisch-feierliche Schaustellung wie im italienischen
Trecento, auch nicht eine preziös-repräsentative Tempelszene
wie im Westen. Klare, präzise Farben in hellem, frischem
Klang: blau, rot, grün und weiß. Viel dämmrige Luft um die
locker und frei geordneten Figuren. Wenig und liebevoll be-
obachteter Lichteinfall. Aus der ganzen Auffassung spricht
schwäbische, oberrheinische Art. Aber der Meister kann enger
gefaßt werden. Es ist der Maler des Frankfurter Paradiesgärt-
leins. Die farbige Skala, die Faltengebung, die Kopftypen, die
Bildung der Hände, nicht zuletzt der leichte höfisch-ritterliche
Einschlag sprechen für diese Zuweisung.
In ungeahnter Weise weitet sich dadurch die Vorstellung von
dieses seltenen Malers Art. Das bisher scheinbar völlig iso-
lierte Werk, nach dem er seinen Namen trägt, wird durch die
Verkündigung eng mit einer Gruppe oberrheinischer Bilder
verbunden. Sie ist ein stilistisches Bindeglied zwischen dem
Paradiesgärtlein einerseits, der Solothurner Madonna in den
Erdbeeren und dem Thennenbacher Altar anderseits. Vor
Jahren haben Carl Gebhardt und Daniel Burckhardt, neuer-
dings Ernst Buchner und besonders Ilse Futterer (Oberrhei-
nische Kunst 1927, p. 15 ff., wo sämtliche Vergleichsstücke
sich abgebildet finden) auf diese Zusammenhänge hingewiesen.
Die Frage nach dem Grad der Zusammengehörigkeit dieser
Werke, insbesondere wie weit sie auf einen Meister zurück-
geführt werden dürfen, ist weitgehend mit der Frage der großen
und der kleinen Bilder eines und desselben Meisters verbun-
den, die für Jan van Eyck und Stephan Lochner mit allge-
meiner, für Konrad Witz mit zunehmender Übereinstimmung
als gelöst betrachtet werden kann. Bei einem Altar, der im
Dämmerlicht einer Kirche steht, sind andere Maßstäbe wirk-
sam, als bei einem für intime Privatandacht bestimmten, daher
auf Nahsicht berechneten Kabinettstück. Völlige Stilidentität
kann also gar nicht erwartet werden. Wie dem nun sei — für
die Zuweisung der leider besonders farbig stark veränderten
Solothurner Madonna an den Meister des Paradiesgärtleins
möchte ich jedenfalls eintreten (vgl. das Majolika-Krüglein in
Solothurn und Winterthur) — örtliche und zeitliche Nähe,
vielleicht Werkstattgemeinschaft der genannten Werke l$ann
als gesichert gelten. Mittelrheinisches ist im Paradiesgärtlein
und schon gar in der Verkündigung nicht zu erkennen. Mittel-
rheinische Werke des frühen 15. Jahrhunderts sind flächiger,
preziöser, kultivierter, koloristisch raffinierter, leicht akade-
misch, tendieren gegen Köln. Das Paradiesgärtlein und mehr
noch die Verkündigung sind dagegen von einer entzückenden
naiven Frische, einer gewinnenden Unmittelbarkeit des Er-
lebens, von einer kühnen Selbständigkeit der Erfindung und

einer unvergleichlichen Zartheit der Empfindung, die wir ge-
rade in Schwaben und am Oberrhein anzutreffen gewohnt
sind. Der Begriff ,,Oberrhein“, auf den die verwandten Stücke
deuten, ist uns zu weit geworden. Wenn unsere Vorstellung
von oberrheinischer Kunstgeographie richtig ist, dürfen wir
es angesichts so kräftiger Beweismomente wagen, zu spezifi-
zieren. Die stilistisch nächsten Stücke finden sich also in der
Gegend von Solothurn und von Freiburg i. Br. Nun gehört
aber Solothurn, das nur sporadisch eigene Maler besaß, in die-
ser Zeit zur Einflußsphäre des Basler Kunstkreises, und Frei-
burg i. Br., das in der Spätgotik wohl Bildschnitzer von Rang,
dagegen merkwürdigerweise anscheinend nie eine Malerschule
von einiger Bedeutung beherbergte, deckte seinen maleri-
schen Bedarf bis in Baldungs Zeiten im Elsaß, dem in kunst-
geographischer Beziehung Basel einzuordnen ist. Da nun
aber nicht anzunehmen ist, daß Hagenau, Schlettstadt oder
Kolmar, die etwa in Frage kommen, über Basel hinweg nach
Kloster Gottstatt bei Solothurn lieferten (aus dem traditionell
die Erdbeeren’Madonna stammt), ist aller Wahrscheinlichkeit
zufolge Basel als Entstehungsort der ganzen Gruppe und da-
mit auch der Verkündigung und des Paradiesgärtleins, das
nach seinem zufälligen Aufbewahrungsort das „Frankfurter“
heißt, zu betrachten. Der Titel „Ein vorwitzisches Basler Ge-
mälde“ wäre deshalb nicht unberechtigt. Für die Lokalisierung
der Verkündigung nach Basel treten noch andere Gründe ein:
ein in den Maßen mit der Verkündigung übereinstimmender,
sie genau kopierender Stich, den Ernst von Meyenburg zuerst
dem Meister der Nürnberger Passion zuwies (Abbildung in
den Monatsheften für Kunstwissenschaft 1912, p. 480, GJeis-
berg] 1, Anfänge des Kupferstichs, 2. Auf!., Taf. 33) findet
sich als Unikum in einem Bande der Berner Stadtbibliothek
eingeklebt — ein Umstand, der mehr noch als für die Lokali-
sierung der Verkündigung—, da der Stich offenbar ohne jedes
vermittelnde Zwischenglied direkt nach dem Gemälde ent-
stand —, für die Fixierung des Kupferstechers von Bedeutung
sein könnte. Dieser Stich wurde seinerseits als Vorlage für eine
Szene eines Wirkteppichs der Sammlung Karl Ikle inNewsYork
(Abbildung bei Betty Kurth, Die deutschen Wirkteppiche,
Tafel 233/234) verwendet. Die Reinhartsche Verkündigung,
die mit dem Paradiesgärtlein um 1410—1420 anzusetzen ist
und weniger irreführend als Arbeit eines Basler Meisters um
1410 bezeichnet werden sollte, scheint ferner die Urzelle für eine
Reihe verwandter Innenraumdarstellungen zu sein, die sich
in auffallender Häufigkeit in der Basler Gegend finden. Wir
nennen: Die Nürnberger Verkündigung des Konrad Witz,
dieses Meisters Berliner Zeichnung, die frühe Schongauer
Madonna und eine genrehafte Madonna im Gemach (beide in
Basler Privatbesitz), sowie die Verkündigung der Bachofen-
Sammlung. — Die Lokalisierung der ganzen Gruppe nach
Basel ist von um so größerer Bedeutung, als baslerische Ge-
mälde vor Beginn der Tätigkeit des KonradWitz so gut wie
keine erhalten sind, da fast alle in der Literatur erwähnten
Werke mit Basel nichts zu tun haben, ja nicht einmal ober«
rheinisch sind.

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