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Pantheon — 1.1928 = Jg 1.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.57094#0102

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EIN „HUMANIST“ VON MELOZZO?

VON LIONELLO VENTURI

Vorjahresfrist sah ich bei Herrn von Nemes in Mün-
chen ein Bild (Holz 0,92 zu 0,59), das mich inter-
essiert und zu historischer Feststellung angeregt hat.
Das Gemälde ist schon verschiedenen Autoren zu-
geschrieben worden, unter anderem auch — und das
von berufener Seite — dem Gian Paolo de Agostini;
mir erscheint keine der bisherigen Annahmen berech-
tigt, auch die genannte nicht, da Gian Paolo sowohl
im Datum als auch in der Schule und Qualität hin-
ter dem Schöpfer dieses Werkes zurückbleibt. Be-
trachten wir, nach dem Münchner Bild, die beiden
dem Melozzo und dem Justus von Gent zugeschrie-
benen Berliner Darstellungen der „Astronomie“ und
der „Dialektik“, so ergibt sich auf den ersten Blick
ihre nahe Verwandtschaft mit dem „Humanisten“ des
Herrn von Nemes, in der Perspektive, dem maleri-
schen Gegenstand und den Farbentönungen (sehr
dunkler Ton und erlesener Stoff). Eine weitere Be-
ziehung zu dem Nemesschen „Humanisten“ bieten
die zwei in London befindlichen Allegorien der Rhe-
torik und der Musik; die der gleichen Serie ange-
hören. Die Beziehung ist vielleicht weniger greif-
bar, aber ebenso wichtig; es ist die psychologische;
eine Gefühlsnote, die flämische und umbrische Ten-
denzen zu verschmelzen scheint. Die flämischenTen-
denzen treten am „Humanisten“ sogar sehr deutlich
zutage, im Schimmer der Engelflügel besonders, und
in der sattenTiefederTonwerte. Dennoch: Grazie und
Eleganz kennzeichnen das Bild als italienisch, wenn
auch wiederum die Schlichtheit der Farbenakkorde
eine venezianische Schule ausschließt. Auch das
Motiv — ein Schriftsteller, inspiriert von vier Engeln
— weist auf den Palazzo Ducale von Urbino hin; wir
findenVerwandtes in den genanntenAllegorien einer-
seits und der — gegenwärtig zwischen dem Louvre
und der Galerie Barberini aufgeteilten — Serie der
„BerühmtenMännner“(UominiIllustri) andrerseits.
Wer aber ist der Schöpfer? Wie bekannt herrscht
unter den Kritikern reichliche Unstimmigkeit über
die humanistische Ausgestaltung des Palastes zu Ur-
bino. Justus von Gent, Melozzo, Giovanni Santi und
j üngstens auch Pedro Berruguete—wem von ihnen ge-
bührt die Ehre? Und doch — trotz der Verschieden-
heiten — eines eignet ihnen allen: die verwirrende

Verquickung flämischer und italienischer Elemente.
Über die Serie der „Berühmten Männer“ sagt uns
die klare Stimme des Vespasiano de’ Bisticci, es habe
Justus von Gent daran gearbeitet. Bei den „Alle-
gorien“ ist einzig der Stil unser Führer. Melozzo —
Justus — oder Melozzo und Justus? Zweifellos
haben sie Elemente von Justus: Vornehmheit des
Stoffes und realistische Detailarbeit. Aber auch solche
von Melozzo : plastische Kraft und sichere Perspek-
tive. Eine Zusammenarbeit der beiden Künstler er-
scheint unwahrscheinlich; dazu sind die Bilder künst-
lerisch zu vollwertig. Flat nun hier Justus die Art
des Melozzo angenommen oder Melozzo die des
fustus? Entgegen der heute vorherrschenden Mei-
nung halte ich die zweite Annahme für wahrschein-
licher. Denn wir kennen mehrere Italiener, die sich
zu Ende des 15. Jahrhunderts Verfeinerung und De-
tailarbeit von den Flamen assimiliert haben, umge-
kehrt aber keine Flamen aus jener Zeit mit der pla-
stischen Kraft und kühnen Perspektive der vier „Alle-
gorien“. Das einzige sichervonjustus in Urbino ge-
malte Bild, die Kommunion der Apostel, zeigt man-
gelhafte Perspektive und einen zu hohen Horizont.
An der Serie der „Berühmten Männer“ sind zahl-
reiche Kompromisse zwischen der flämischen Per-
spektive der „Kommunion“ und der des Melozzo
unverkennbar; ihr ästhetisches Ergebnis bleibt fast
immer negativ. Justus’ Hand ist hier deutlich zu füh-
len. Anders die,,Arti liberal?*: da herrscht kein Kom-
promiß, ja die perspektivische Wirkung beruht sogar
aufeinemsotief gesetzten Horizont, daß jede Gestalt
emporragt wie ein Monument. Die Schule des Ma-
saccio in einer ihrer vollkommensten und erhebend-
sten Auswirkungen. Das ist italienische, toskanische,
florentinische Ästhetik, die Antithese der flämischen.
Da schimmert der Freskenmaler durch: die Bilder
blicken auf den Beschauer herab wie von einer Höhe,
wie vom Himmel, wie von einer Kuppelweitung oder
aus dem Rund einer Apsis heraus, ganz ähnlich der
der S. Apostoli in Rom. Das Gewand der „Arti libe-
ral!“ mag flämisch sein, italienisch aber sind Blut und
Nerven. Wenn selbst Melozzos großer Lehrer Piero
della Francesca es nicht unter seiner Würde fand, in
seiner letzten Schaffenszeit sich flämische Farben-

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